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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Attachés arbeiten.« Lächelnd fügte er hinzu: »Es ist und bleibt dennoch ein Fleckchen Großbritannien in Wien.«
    »Warum werde ich dort festgehalten?«
    »Man ist offensichtlich der Meinung, dass Sie eher die Flucht antreten, als sich vor Gericht verantworten werden. Und weil wir die Kaution gestellt haben, wurde uns aufgetragen, auf Sie aufzupassen.«
    Lysanders Euphorie ließ allmählich nach.
    »Ich wandere also nur von einer österreichischen Zelle in eine britische.«
    »Dort dürften Sie es wesentlich bequemer haben.« Munro zuckte mit den Schultern. »Mehr konnten wir nicht erreichen. Hierzulande nimmt man solche Verbrechen sehr ernst, Vergewaltigungen, Sexualmorde, tätliche Angriffe und dergleichen.«
    »Ich habe niemanden vergewaltigt oder tätlich angegriffen.«
    »Gewiss. Ich erkläre Ihnen nur, warum sie diese Bedingungen gestellt haben. Wir haben für Sie ein Plätzchen hinter dem Konsulat. Mit einem kleinen Garten. Man wird Sie nicht einsperren, aber Sie dürfen das Gelände nicht verlassen.« Munro stand auf. »Wollen wir?«

21. Eine kleine, klassizistische Villa
    Das Behelfskonsulat entpuppte sich als kleine, leicht heruntergekommene klassizistische Villa, ein paar Straßen von der eigentlichen Botschaft in der Metternichgasse entfernt, gegenüber vom Botanischen Garten. Lysanders »Gefängnis« war ein zweistöckiges oktogonales Gartenhaus am Ende eines von hohen Mauern umfriedeten Parterres, das an der hinteren Villenterrasse begann. Oben stand ihm ein oktogonales Schlafzimmer und unten ein oktogonales Wohnzimmer mit kleinem Kamin zur Verfügung. Zwar gab es weder Toilette noch Bad, aber sonst war es durchaus komfortabel, wie er einräumen musste. Wenn er frische Luft schnappen oder sich die Beine vertreten wollte, konnte er jederzeit die verunkrauteten Kieswege des verwildernden Parterres entlanglaufen. Dreimal täglich wurde ihm auf einem Tablett Essen aus einem benachbarten Restaurant serviert, es wurde für ihn Feuer gemacht, jeden Morgen bekam er einen Krug heißes Wasser, damit er sich waschen konnte, seine Schmutzwäsche wurde eingesammelt und sauber zurückgebracht (er hatte seine Kleidung und andere Habseligkeiten aus der Pension Kriwanek holen lassen) und sein Nachttopf wurde von diversen Botschaftsbediensteten, die beinah täglich zu wechseln schienen, diskret geleert und wieder hingestellt. Selten bekam er einen von ihnen mehr als zweimal zu Gesicht. Die Mahlzeiten und den Wäschedienst würde man ihm in Rechnung stellen, wie Lysander erfuhr. Sämtliche Kosten würden auf die zehntausend Kronen aufgeschlagen, die er der Regierung Seiner Majestät bereits schuldete – von den stetig wachsenden Anwaltskosten ganz zu schweigen.
    Er hatte schon mehrere Besprechungen mit seinem Anwalt, einem gewissen Herrn Feuerstein, hinter sich. Ein ernster junger Mann, etwa so alt wie Lysander, mit Kneifer und gepflegtem Bart, der jedes Mal finster die Stirn runzelte und missbilligend vor sich hin murmelte, wenn er die Punkte im anliegenden Fall durchging, als wollte er bei seinem Mandanten nicht den kleinsten Funken Hoffnung oder Optimismus aufkommen lassen. Er war allerdings auch der Meinung, dass eine Offenlegung der Affäre die beste Verteidigung wäre. Und so notierte er mit seiner kleinen gestochenen Schrift jede Einzelheit, die Lysander von seinen mehreren Dutzend Treffen mit Hettie noch erinnerlich war. Feuerstein erklärte sich bereit, die Hotels, in denen sie in Wien, Linz und Salzburg abgestiegen waren, aufzusuchen und Abschriften von den Einträgen im Gästebuch anzufertigen, ja vielleicht sogar Hetties Atelierscheune heimlich zu fotographieren. Er bat Lysander, ihm einen detaillierten Grundriss der Scheune zu zeichnen und ein möglichst vollständiges Inventar aus dem Gedächtnis zu erstellen. Er mag ja Pessimist sein, dachte Lysander, aber immerhin ist er ein gründlicher Pessimist.
    Außerdem erhielt Lysander täglich Besuch von Alwyn Munro und dem anderen Attaché – dem Marineattaché – , einem Mann namens Jack Fyfe-Miller. Dieser war blond und stämmig, Anfang dreißig und trug einen hellen Vollbart – ganz der alte Seebär, passend zur Marine, dachte Lysander. In Cambridge war er für sein Rugbyspiel ausgezeichnet worden. Nach den ersten paar Begegnungen befand Lysander, er sei ein »Holzkopf«. Fyfe-Miller hatte ihn in London auf der Bühne gesehen (in Der Widerspenstigen Zähmung ) und schien sich nur für das Treiben hinter den Kulissen zu interessieren, insbesondere für

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