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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Wie kommst du denn darauf?
    HETTIE: Ich habe deine Patientenakte gelesen – als ich bei Dr. Bensimon war. Er hat das Sprechzimmer einmal verlassen, und deine Akte lag auf dem Tisch. Bensimon war schon ein paar Minuten weg, mir wurde langweilig, und als ich die Akte sah, war meine Neugier geweckt.
    ICH: Das ist ja unerhört!
    HETTIE: Geschadet hat es dir nicht, dass ich über deine Träume Bescheid wusste, deine Fantasien …
    ICH: Nein. Das war alles nur Teil der Therapie. Und kein Grund, die Polizei ein-
    HETTIE: Sei doch nicht so zynisch. Udo war gleich der Ansicht, du hättest mir Gewalt angetan, und ich habe ihm nicht widersprochen, sondern nur gesagt, kann schon sein, ja, du hast sicher recht. Keine Ahnung, warum ich das getan habe. Er tobte regelrecht. Und ich sagte, du habest dich meiner bemächtigt und gab ihm unversehens recht. Einfach, um seiner Schreierei ein Ende zu setzen. Es tut mir wirklich leid, mein Liebling. Du musst mir verzeihen – ich wusste vor Panik weder ein noch aus.
    Auf einmal verspürte ich nur noch ungeheure Erschöpfung, eine bleierne Müdigkeit.
    ICH: Warum ist Udo nicht davon ausgegangen, dass es sein Kind ist?
    HETTIE: Weil, na ja … wir schlafen nicht mehr miteinander. Schon seit über einem Jahr nicht. Er wusste auf Anhieb, dass das nicht sein Sohn ist.
    ICH: »Sohn«?
    HETTIE: Es ist ein Junge, das Baby, ich weiß es.
    ICH: Du bist dir aber der Tatsache bewusst, dass ich vor Gericht die Wahrheit aussagen werde – über dich und mich und unsere Affäre.
    HETTIE: Nein! Nein, das darfst du nicht. Udo bringt mich um – mich und das Kind.
    ICH: Unfug. Das kann er nicht. Er ist doch kein Unmensch.
    HETTIE: Du weißt nicht, wozu er imstande ist. Er wird mich vor die Tür setzen, Mittel und Wege finden, mich zu vernichten. Mich zu bestrafen und auch das Baby – unser Baby.
    ICH: Du solltest dich von ihm trennen. Einfach weggehen. Komm nach London und wohne bei mir. Was schuldest du ihm? Gar nichts.
    HETTIE: Alles. Als ich ihn in Paris kennenlernte, war ich … ich steckte in ernsthaften Schwierigkeiten. Udo hat mich gerettet. Er hat mich nach Wien mitgenommen. Ohne ihn wäre ich gestorben – oder mir wäre noch Schlimmeres passiert. Bitte, Lysander, ich flehe dich an – er darf nichts von unserer Beziehung erfahren.
    ICH: Du wirst das Kind aber nicht abtreiben lassen.
    HETTIE: Niemals. Er ist unser Sohn. Dein Kind und meins, Liebster.
    Just in diesem Moment tauchte Fyfe-Miller auf und klopfte an die Fenstertür. Hettie gab mir einen Abschiedskuss und wisperte mir zuletzt noch zu: »Ich flehe dich an, Lysander. Behalt es für dich. Stürze mich nicht ins Verderben.«
    Heute Morgen hatte ich wieder eine Besprechung mit Herrn Feuerstein. Ich fragte ihn, wie schwer meine Strafe ausfallen würde, wenn man mich schuldig spräche. »Acht bis zehn Jahre, wenn Sie Glück haben«, sagte Feuerstein. Dann fuhr er fort: »Man wird Sie aber nicht schuldig sprechen, Herr Rief. Sobald Sie Ihre Aussage machen, wird die Anklage in sich zusammenfallen.« Er wedelte mit der Akte. »Hier ist alles dokumentiert. Die Hotels in Wien, Linz und Salzburg. Die Zeugenaussagen des Personals. Wie war noch dieser englische Ausdruck? Cakewalk – ein Kinderspiel.« Ausnahmsweise gestattete er sich ein Lächeln. Ich dachte nur: Wenn Feuerstein derart zuversichtlich ist, bedeutet es für Hettie das Aus. »Ich freue mich richtig auf die Verhandlung«, fuhr mein Anwalt fort. »Schade, dass es bis zum 17. Mai noch so lange hin ist.«
    Nun warte ich auf Munro und Fyfe-Miller, wir wollen uns hier im Sommerhaus treffen. Ich werde ihnen sagen, dass mir keine andere Wahl bleibt. Dieser Fall darf niemals vor Gericht kommen.

23. Ein nagelneuer Messingschlüssel
    Lysander saß in seinem oktogonalen Wohnzimmer Alwyn Munro und Jack Fyfe-Miller gegenüber. Schneegestöber stieß sanft gegen die Fenstertüren, und im Kamin kämpfte ein Feuer gegen die Kälte an. Aus unerfindlichem Grund trug Fyfe-Miller seine Marineuniform – samt einer Reihe Orden auf der Brust – , die ihn seriöser und eindrucksvoller erscheinen ließ, als einsatzbereiter Offizier. Munro trug einen Dreiteiler aus schwerem Tweed, als wollte er ein Jagdwochenende in Perthshire verbringen.
    »Ich habe die letzten Tage viel nachgedacht«, fing Lysander behutsam an. »Und dabei ist mir eines unmissverständlich klargeworden. Ich darf auf gar keinen Fall vor Gericht erscheinen.«
    »Feuerstein hat mir gesagt, dass Ihre Verteidigung unschlagbar ist«, bemerkte

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