Eine große Zeit
sich tiefe Furchen, als hätte er monatelang nichts anderes getan, als die Zähne zusammenzubeißen. Aus seinem dunklenGesicht stachen die hellblauen Augen besonders hervor.
»Ich verstehe dich, Hamo«, antwortete Lysander. »Das weißt du. Es macht mir nicht das Geringste aus.«
Ein junger Afrikaner trug ein Tablett mit einer Flasche Whisky, zwei Gläsern und einem Sodawassersiphon herein.
»Danke, Femi«, sagte der Major.
Der junge Mann – vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt – stellte das Tablett mit einem Lächeln ab.
»Femi – das ist mein Neffe, Lysander Rief.«
»Sein sehr erfreut, Sar.« Femi ergriff die Hand, die Lysander ihm entgegenstreckte. Er trug einen khakigrünen Trainingsanzug und eine schwarze Strickkrawatte, war groß und hatte eine hohe Stirn. Ein schön gemeißeltes afrikanisches Gesicht, dachte Lysander.
»Natürlich erregt er ein bisschen Aufsehen, wenn wir in Rye einkaufen gehen, kannst du dir ja vorstellen«, erklärte der Major genüsslich. »Aber ich erzähle allen, mein Gast sei ein afrikanischer Prinz, und dann sind sie ganz schnell wieder beruhigt.«
Femi verbeugte sich leicht, bevor er in die Küche zurückkehrte.
»Ich sehe mal nach, was unser Essen macht«, sagte Hamo und folgte ihm. Lysander streifte derweil im Wohnzimmer umher. Es war voller Artefakte, die Hamo von seinen Expeditionen nach West- und Zentralafrika mitgebracht hatte – Skulpturen, Töpferwaren, Kalebassen, Tierhäute, die auf dem Boden lagen, unter anderem ein ganzes Zebrafell vor dem Kamin. An einer Wand stand eine Glasvitrine mit Waffen – Zeremonialäxte und -dolche, fein gearbeitete Speere mit langen Klingen, aber auch Hamos Vorderlader für die Elefantenjagd und sein Martini-Henry-Mark-II-Gewehr aus dem zweiten Burenkrieg. »Das zuverlässigste Gewehr der Welt, selbst auf 400 Meter Entfernung«, hatte Hamo ihm einmal erklärt. »Weiche Bleigeschosse richten einen Höllenschaden an.« Daneben stand ein geschnitztes Ebenholzfries, das von fantastischen Kreaturen wimmelte – Kobolde mit riesigen Ohren und unzähligen Gliedern sowie hermaphroditische Gestalten – und Lysander an Bensimons Flachrelief erinnerte. Ihm wurde bewusst, dass er die Sitzungen bei Bensimon vermisste.
Als er Hamo zurückkehren hörte, drehte er sich um.
»Femi war mein Führer am Niger«, sagte Hamo. »Hat mir mindestens drei Mal das Leben gerettet«, fügte er sachlich hinzu, dann warf er einen zärtlichen Blick in Richtung Küche. »Ein ganz lieber Junge. Sein Englisch macht erstaunliche Fortschritte.«
Er schenkte Lysander wieder Whisky ein, mit einem Schuss Sodawasser.
»Du bist also den ganzen Weg von Claverleigh hierher gelaufen? Ich sollte dich auf meine nächste Expedition mitnehmen.«
Das Victoriakreuz hatte Hamo Rief 1900 im Zweiten Burenkrieg errungen. Als die Belagerung von Ladysmith aufgehoben werden sollte, sah er eine Schar burische Berittene Teile der Feldartillerie entwenden, woraufhin er den Stoßtrupp im Alleingang zurückschlug, die Waffen wiedererlangte, vier Männer tötete und fünf verwundete, nachdem er selbst drei Mal verwundet worden war. Als Hamos Regiment ihn aufgrund seiner Verletzungen mit allen Ehren entließ, stellte er fest, dass die Wanderlust, die ihn überhaupt erst zur Armee geführt hatte, nicht verflogen war, und so schlug er den Weg eines Amateurforschers ein, schloss sich der Royal Geographical Society an und finanzierte 1907 mit eigenen Mitteln eine Expedition nach Westafrika, um quer durch den Kontinent vom Niger zum Nil zu reisen. Tatsächlich schaffte er es nur bis zum Tschadsee, wo er vom Denguefieber befallen wurde und mehrere Monate bis zu seiner Genesung verbrachte; diese Zeit nutzte er, um Proben zu sammeln und anthropologische Studien über die einheimischen Stämme anzustellen. Afrikas verlorener See, das Buch, das er nach seiner Rückkehr schrieb und veröffentlichte, wurde zu einem Überraschungserfolg und finanzierte die jüngste Expedition, bei der Hamo, anders als ursprünglich von Lysander angenommen, nicht den Oberlauf des Benue, sondern verschiedene Inseln in der Bucht von Benin erforscht hatte.
Lysander freute sich sehr, Hamo nach zweijähriger Abwesenheit wiederzusehen. Als Kind war er ihm zwar fern gewesen – damals verbrachte Hamo mit seinem Regiment etliche Jahre in Indien – , doch als er ihn nach dem Tod seines Vaters näher kennenlernte, schloss er seinen Onkel ins Herz. Er bewunderte seine Kühnheit und Furchtlosigkeit, ob in militärischen
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