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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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seine Stabsoffiziersabzeichen misstrauisch beäugten, als wäre er auf irgendeine Art und Weise infiziert. Er bekam ein Stockbett zugewiesen und zog die Whiskyflasche als Gastgeschenk aus seinem Tornister hervor. Sofort genehmigten sich alle einen Schluck, und die Atmosphäre entspannte sich merklich.
    Lysander gab seine Legende zum Besten – er sei vom »Korps« gesandt, um das Gebiet jenseits der britischen und französischen Gräben aufzuklären und, falls möglich, die Stärke der deutschen Truppen einzuschätzen.
    »Die haben fast das ganze Grün vor ihrem Stacheldraht abgefackelt«, bemerkte Dodd wenig zuversichtlich. »Schwer, sich dort heranzupirschen.«
    Lysander holte seinen Grabenplan hervor und bat ihn, die exakte Stelle zu bestimmen, an der die britische Linie endete und die französische anfing. Dodd zeigte auf eine V-förmige Erhebung, die in das Niemandsland hinausragte.
    »Da«, sagte Dodd. »Aber dort ist alles voller Stacheldraht. Sie kommen auf keinen Fall durch.«
    »… und sie kommen niemals zusammen«, sagte Wiley fröhlich.
    »Foley ist der Richtige, um Sie dorthin zu führen«, erklärte Gorlice-Law. »Anscheinend patrouilliert er für sein Leben gern.« Er bestrich einen Hartkeks mit Sardellenpaste und biss genüsslich hinein, wie ein Junge, der sich am Schulkiosk Süßigkeiten beschafft hat. »Köstlich«, sagte er entschuldigend. »Ich habe immer einen Bärenhunger – warum, weiß ich nicht.«
    Dodd schickte Wiley mit dem Befehl hinaus, den Frontgraben abzugehen und die Wachposten zu überprüfen. Lysander schenkte Whisky in die Becher nach.
    »Man sagt, es bringt Unglück, wenn Stabsleute an die Front kommen«, stellte Dodd düster fest. Der Hauptmann hat nicht gerade ein sonniges Gemüt, dachte Lysander.
    »Tja, übermorgen bin ich weg«, sagte er. »Sie werden mich ganz schnell wieder vergessen.«
    »Kann schon sein, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Sie hier waren, oder? Hier bei uns«, sagte Dodd beharrlich. »Wie wollen Sie bei Ihrem Angriff eigentlich vorgehen?«
    »Hören Sie, ich bin doch nur zur Aufklärung hier«, antwortete Lysander und hätte ihm am liebsten gesagt, dass er kein echter Stabsoffizier war und der Fluch aus diesem Grund nicht greifen konnte. »Vielleicht kommt gar nichts dabei raus.«
    »Das würden Sie uns ohnehin nicht verraten, nicht wahr?«, sagte Gorlice-Law und nahm sich einen weiteren Hartkeks. »Alles streng geheim. Siegel der Verschwiegenheit und so weiter.«
    »Trinken Sie doch noch einen Schluck Whisky«, sagte Lysander.
    Er schlief unruhig im schmalen harten Bett, seine unaufhörlich rasenden Gedanken und Dodds tiefes Schnarchen hielten ihn zumeist wach. Nachdem bei Sonnenaufgang der Pfiff zum Morgenappell ertönt war, trank er zum Frühstück Tee und aß Marmeladenbrote, die ihm Dodds Bursche gebracht hatte. Dann kam Foley zu Lysander und bot an, ihm den Frontgraben zu zeigen, damit sie einen Blick in das Niemandsland »riskierten«.
    Die Gräben am äußersten rechten Flügel des britischen Expeditionskorps waren schmal, tief und in gutem Zustand,soweit Lysander sehen konnte. Außerdem trocken, mit Holzbrettern ausgelegt, solider Brustwehr abgetreppt und von hohen Sandsackstapeln umstellt. Die Wachposten standen hinter der Brustwehr, während die anderen Soldaten in Mulden und kleinen Halbhöhlen auf der anderen Grabenseite kauerten, aßen, sich rasierten oder ihre Ausrüstung reinigten. Lysander stellte erheitert fest, dass die meisten Shorts trugen und gebräunte Knie hatten – als würden sie eine seltsame Form von Sommerfrische verleben – , während er Foley durch die Quergänge zu einer Schießscharte folgte, die mit einem Netz abgedeckt war. Er bekam einen Feldstecher ausgehändigt.
    »Hier sind Sie vor Heckenschützen sicher«, erklärte Foley. »Sie können durch das Netz hindurchsehen, aber von außen sieht man nichts.«
    Lysander hielt sich den Feldstecher vor Augen und spähte ins Niemandsland hinaus. Hohes Gras und wilder Weizen, von verdorrtem Sauerampfer durchzogen. Auf halber Strecke erhob sich direkt vor ihnen eine kleine Ruine – im Grunde nichts weiter als ein Haufen Steintrümmer – , weiter hinten standen drei laubige, krumme Ulmen, bei denen einige Hauptzweige weggesprengt waren. Es wirkte still und idyllisch. Eine warme Brise fuhr in die Wiese des Niemandslands und brachte sie zum Wogen, die hohen Gräser und Ähren neigten sich im sanften Wind.
    »Wie weit sind ihre Gräben entfernt?«, fragte

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