Eine große Zeit
und ihn zum Bataillonshauptquartier, das ganz in der Nähe in einem beschlagnahmten Bauernhof eingerichtet war. Dort überreichte Munro die offiziellen Dokumente einem wortkargen und sichtlich verdrossenen Adjutanten, der sich für die Lektüre ausgiebig Zeit nahm und dabei kleine Rachengeräusche von sich gab, gleichsam als Ersatz für die Kraftausdrücke, die er lieber verwendet hätte.
»Von Haig höchstpersönlich gezeichnet«, stellte er fest und blickte Lysander ziemlich feindselig an. »Sie sollen bei Bedarf also ›jede erdenkliche Unterstützung erhalten‹, Leutnant Rief. Sie müssen ja ein sehr bedeutender Mann sein.«
»Das ist er«, fiel ihm Munro ins Wort. »Es ist unbedingt erforderlich, dass man alles daransetzt, dem Leutnant in jeder Hinsicht behilflich zu sein. Haben wir uns verstanden, Major?«
»Ja und nein«, antwortete der Major lakonisch und erhob sich. »Folgen Sie mir bitte.«
Tja, das war’s dann wohl, dachte Lysander. Munro ist eindeutig zu weit gegangen. Es fühlte sich an, als würde man in einem Club geschnitten werden. Mit zutiefst verächtlicher Miene führte der Major sie über einen Ziegelweg zu einem Kuhstall, in dem mehrere Feldbetten aufgestellt waren. Er wies Lysander ein Bett zu.
»Lassen Sie Ihr Zeug hier. Ich werde Ihnen einen Burschen zuteilen. Gegessen wird um sechs im Kantinenzelt.«
»Überlassen Sie ihn mir«, sagte Munro, als er und Lysander dem Major hinterherblickten. »Ich werde mit diesem feinen Herrn noch ein Wörtchen unter vier Augen reden.« Lächelnd fügte er hinzu: »Ihm eine Heidenangst einjagen.«
Manchmal war es durchaus von Vorteil, jemanden wie Munro an seiner Seite zu haben, dachte Lysander. Dennoch saß er das ganze Abendessen hindurch schweigend im Kantinenzelt. Keiner der anderen Offiziere richtete das Wort an ihn, was Lysander allerdings eher übertriebener Vorsicht als Verächtlichkeit zuschrieb. Weiß Gott, was Munro geäußert hatte. Und so machte er sich über das Essen her, Rindseintopf mit Klößen und gedämpften Pudding mit Vanillesoße, obwohl er schon längst satt war und sich unwohl fühlte, aber er spürte, dass es bloß weiteren Unmut auslösen würde, wenn er seinen Teller nur halb anrührte.
Sobald es die Höflichkeit zuließ, kehrte er zu seinem Bett im Kuhstall zurück und rauchte eine Zigarette.
»Mr Rief, Sir?«
Lysander setzte sich auf. Ein Soldat stand in der Tür.
»Ich bin Feldwebel Foley, Sir.«
Die beiden Männer salutierten voreinander. Lysander kam es immer noch seltsam vor, mit »Sir« angeredet zu werden. Foley war robust und untersetzt, Ende zwanzig, wie Lysander vermutete, und hatte eine ausgeprägte Himmelfahrtsnase. Sein breiter Lancashire-Akzent passte ganz gut zu seiner muskulösen Statur.
»Gleich zieht eine Drahtschneidegruppe los. Wir können mit.«
Die haben es ganz schön eilig, mich wieder loszuwerden, dachte Lysander, während er schnell das Nötigste zusammenpackte – eine Flasche Whisky, Zigaretten, Taschenlampe, Kompass, Landkarte, die Tasche mit den zwei Granaten, einen Schal und ein Paar frische Socken. Seinen Regenmantel ließ er da – die Nacht war warm und sternenklar – und folgte Foley nach draußen, auf einmal befiel ihn eine lähmende Furcht, die ihm den Atem abschnürte. Immer mit der Ruhe, sagte er sich, denk dran, das ist ein ruhiger Abschnitt – gekämpft wird woanders – , darum bist du hier. Du wurdest bestens auf diesen Einsatz vorbereitet, du hast die Karten eingehend studiert, du hast denkbar simple Anweisungen erhalten – befolge sie einfach.
Foley und er bildeten das Schlusslicht der Gruppe, als sie einen Feldweg entlanggingen und dann in einen zunächst hüfthohen Laufgraben stiegen, der allmählich tiefer wurde, bis die Feldschanzen auf beiden Seiten den Abendhimmel auf einen orange-grauen Streifen über seinem Kopf reduzierten.
Als sie schließlich die Unterstützungslinien erreichten, verspürte Lysander erste Anzeichen von Müdigkeit. Foley führte ihn zum Offiziersunterstand, wo Lysander sich dem Kompaniechef Hauptmann Dodd vorstellte, einem Mann mit hängendem, feucht wirkenden Schnauzer, der die dreißig bereits deutlich überschritten hatte, sowie zwei blutjungen Leutnants namens Wiley und Gorlice-Law, die höchstens zwanzig sein konnten und Lysander an Aufsichtsschüler in einem Internat erinnerten. Sie wussten, wer er war, offenbar hatte man sie bereits informiert, doch so freundlich und zuvorkommend sie sich verhielten, entging Lysander nicht, dass sie
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