Eine große Zeit
die er sich um die Knie gebunden hatte. In seiner Tasche steckte ein Revolver, und er hatte sich einen Lanyard mit Pfeife umgehängt.
»Drei Pfiffe bedeuten, wir kehren um«, sagte der Feldwebel und sah Lysander scheel an.
»Was ist denn, Foley?«
»Sie sind in voller Uniform, Sir. Als wollten Sie zur Parade aufziehen.«
»Ich habe nichts anderes dabei.«
Foley holte eine Dose schwarzes Kerzenfett hervor, mit dem er Lysander ein paar Streifen ins Gesicht malte. Dann wandte er sich Gorlice-Law zu, der Jacke, Koppeltragehilfe und Wickelgamaschen abgelegt und seinen Revolver in den Gürtel gesteckt hatte.
»Ab jetzt tun Sie alles, was ich sage, Leutnant. Verstanden?«
»Ja, Feldwebel.«
Foley schoss ein rotes Leuchtsignal ab, um dem Frontbataillon mitzuteilen, dass eine Patrouille unterwegs war, bevor sie die Leiter hinaufkletterten, über die Sandsäcke stiegen und schließlich durch den Drahtverhau in die alles verschlingende Dunkelheit des Niemandslands hinauskrochen.
Es war eine mondlose Nacht, dennoch staunte Lysander darüber, wie schnell er die Orientierung verloren hatte, als sie durch das hohe Gras robbten. Schon nach einer Minute wusste er nicht mehr, in welche Richtung er sich bewegte, während er Foley folgte und Gorlice-Law die Nachhut bildete. Hinter den deutschen Linien stieg eine weiße Leuchtkugel auf, so dass die Welt ein paar Sekunden lang einfarbig erstrahlte. Lysander verspürte auf einmal den Drang aufzustehen und sich umzusehen. Sie rührten sich alle nicht mehr von der Stelle.
»Wo ist die Ruine?«, zischte er Foley zu, als das gleißende Licht allmählich verblasste und verschwand.
»Etwa fünfzig Meter schräg rechts.«
»Führen Sie uns dorthin.«
Foley wechselte die Richtung und sie robbten weiter. Einige Kilometer nördlich fand irgendein »Spektakel« statt – Leuchtgranaten, fernes Artilleriefeuer, das hustenartige Knattern von Maschinengewehren. Lysander warf einen Blick über die Schulter – in den Schützengräben des 2/10. Bataillons der Loyal Manchester Fusiliers tat sich jedoch nichts. Dort herrschte schwarzer ländlicher Frieden. Selbst die Leuchtraketen, die vorsichtshalber zur Erkundung abgeschossen wurden, waren anscheinend alle verglüht. Man wollte wohl in Ruhe schlafen.
»Wie weit sind wir jetzt?« Lysander tippte an Foleys Knöchel.
»Sie müssen noch über den kleinen Hügel rüber, dann sind Sie da.«
Wurde auch Zeit.
»Sie bleiben hier«, sagte Lysander zu Foley. »Lassen Sie ihn nicht zurück.«
»Nein, Sir. Sie können nicht alleine gehen. Ich komme mit.«
»Das ist ein Befehl, Foley. Kümmern Sie sich um den Leutnant.«
Lysander ließ die beiden anderen hinter sich und robbte den Hügel hinauf – eigentlich nur eine winzige Erhebung, die ihm aber freie Sicht auf den blassen Trümmerhaufen des verfallenen Grabmals gewährte. Er hielt rechts Ausschau nach den verwüsteten Ulmen und glaubte ihre Umrisse zu erkennen, die dunkler waren als der Nachthimmel. Trümmer, Ulmen, Abflussgraben – wenigstens konnte er sich inmitten der fließenden Dunkelheit und des wispernden Grases an diese konkreten Punkte halten.
Er ließ sich auf der anderen Seite hinuntergleiten, auf die Ruine zu. Einst musste es sich um ein ziemlich prachtvolles Bauwerk gehandelt haben, dachte er, von einem lokalen Würdenträger errichtet, damit der Name seiner Familie überdauerte. Tja, er hatte wohl nicht bedacht, dass …
Lysander erstarrte. Er hörte ein Quieken. Ratten? Dafür war es zu beständig. Sickerndes Wasser? Dann hörte es auf. Er holte die Taschenlampe aus seinem Tornister und die beiden Mills-Granaten. Zieh den Sicherungsstift, zähl bis drei, wirf und sieh zu, dass du schleunigst wegkommst. Die Explosionen sollten als Ablenkungsmanöver dienen, sie wären die Ursache seines »Todes«, so dass er zu den französischen Linien würde vordringen können.
Das quiekende Geräusch setzte wieder ein, ganz schwach. Lysander lehnte gegen die ersten Steinblöcke der eingestürzten Grabmauer. Er richtete seine Taschenlampe auf die Stelle, an der er das Geräusch vermutete, und schaltete sie kurz ein. Im flüchtig aufblitzenden Licht sah er zwei weiße Gesichter aus einem Verbindungsgraben emporblicken, der tief unterhalb des Grabsockels ausgehoben worden war. Er erkannte einen Mann mit schwarzem Schnurrbart und einen sehr hellhäutigen, blonden Jungen sowie eine Telefonkabelrolle, die langsam abgewickelt wurde – und dabei leise quietschte.
Lysander schaltete die
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