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Eine Hand voll Asche

Eine Hand voll Asche

Titel: Eine Hand voll Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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Blitzen durchzuckt, die den Raum erhellten wie ein Blitzlicht und ein negatives Nachbild auf meine Retina brannten. Seit Kindertagen hatte ich die Angewohnheit, die Sekunden zwischen Blitz und Donner zu zählen: »Eins, Mississippi, zwei, Mississippi, drei, Mississippi …« Wenn ich bis »fünf, Mississippi« kam, bevor der Donner über mir losbrach, wusste ich, dass der Blitz eine Meile weit weg war. Kurz nachdem dieses nächtliche Gewitter losgebrochen war, hatte ich Glück, wenn ich es bis zu »eins, Mississippi« schaffte, manchmal war ich nicht einmal schnell genug, um »eins« zu sagen.
    Dann kam ein so heller, von einem so gewaltigen Donnern begleiteter Blitz, dass ich mir sicher war, das Haus wäre getroffen worden. Als ich wieder etwas sehen konnte, sah ich einen kurzen Funkenregen von einem Strommasten draußen an der Straße, und da wusste ich, dass das Krachen teils auf die Explosion des Transformators an dem Strommast zurückzuführen war. Zur Bestätigung sah ich zu meinem DVD-Player hinüber. Die Ziffern waren tatsächlich dunkel. Es dauerte sicher eine Weile, bis wir wieder Strom bekamen, also tastete ich mich in die Küche, öffnete die Schublade neben dem Kühlschrank und fingerte darin herum, bis ich eine Schachtel Streichhölzer gefunden hatte. Ich hätte auch ins Schlafzimmer gehen und aus dem Nachttisch eine Taschenlampe holen können, doch die Vorstellung eines grellen, unpersönlichen Taschenlampenstrahls ließ mich zu den Streichhölzern greifen. Es waren altmodische Reibungsstreichhölzer – solche, die man an einer steinernen Kamineinfassung oder an einem Reißverschluss entfachen konnte, ja selbst mit dem Daumennagel, wenn man mutig und geschickt war. Die waren mir immer schon lieber gewesen als Sicherheitsstreichhölzer, die man nur an der Schachtel entzünden konnte – vielleicht überlegte ich mir gerne, wo ich sie anzünden würde, oder mir gefielen einfach die roten Streichholzköpfe mit den weißen Punkten –, doch es wurde immer schwieriger, sie irgendwo aufzutreiben. Das Lebensmittelgeschäft führte sie nicht mehr; der einzige Laden, den ich kannte, wo es sie noch gab, war Parker Brothers, eine altmodische Eisenwarenhandlung, die von altmodischen Kerlen geführt wurde – Kerlen wie mir, vermutete ich. Witzig, dachte ich, die Leute denken sich nichts dabei, mit hundertfünfzig Stundenkilometern über die Autobahn zu rasen und ständig die Spur zu wechseln und dabei allenfalls einen halben Meter Abstand zwischen ihrer Stoßstange und anderen Wagen zu halten. Aber Gott behüte, dass wir so etwas Riskantes tun sollten, wie ein Streichholz an der Backsteineinfassung eines offenen Kamins zu entzünden.
    Ich tastete mich zurück ins Wohnzimmer, wo auf einem staubigen Fleck auf dem Kaminsims eine Petroleumlampe stand, deren Glaszylinder und Fuß sich ebenfalls schmutzig anfühlten. Ich löste den Glaszylinder aus den Klammern, stellte ihn neben den Lampenfuß auf den Kaminsims, schob dann die Streichholzschachtel auf und holte eines der viereckigen Streichhölzer heraus. Ich drückte seine Spitze leicht gegen die Oberfläche eines Ziegelsteins oberhalb des Kaminsimses und zog das Streichholz dann nach oben. Als es über die raue Oberfläche kratzte, löste es einen kleinen Funkenregen aus, dann flackerte es zu einer strahlenden Blume aus Gelb und Blau auf. Sobald die Flamme nur noch eine kleine gelbe Träne war, führte ich sie zum Docht der Lampe und drehte diesen höher.
    Die Streichholzschachtel steckte ich in meine Hemdtasche und knöpfte die Klappe zu. Dann klemmte ich den Glaszylinder der Lampe wieder fest und nahm sie am schmalen Glashals vom Kaminsims. Ich hielt die Lampe vor mir in die Höhe wie die Freiheitsstatue und ging zurück in die Küche, um sie dort auf den Tisch zu stellen. Die Küche war mir irgendwie immer schon sicherer oder beruhigender als alle anderen Räume im Haus erschienen, doch heute Abend kam mir sogar die Küche gefährlich vor.
    Blätter klatschten gegen die Fenster – wie Hände, wie Garland Hamiltons Hände, die mir ein ums andere Mal ins Gesicht schlugen. Ein weiterer Blitz durchzuckte die Dunkelheit, und einen Augenblick glaubte ich geblendet, vor dem peitschenden Regen und der bebenden Hecke die Silhouette eines Mannes zu sehen. Dann wurde die Nacht wieder schwarz, und das Nachbild auf meiner Retina verwandelte sich in ein Negativ: Die dunkle Gestalt, die vor dem hellen Hintergrund aufragte, lauerte als geisterhafter Schemen in Weiß auf einem

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