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Eine Hand voll Asche

Eine Hand voll Asche

Titel: Eine Hand voll Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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Kühe, die normalerweise die Wiesen am Hang sprenkelten, schienen das Grasen vollkommen drangegeben zu haben und drängten sich unglücklich im Flachwasser an der Innenseite der großen Flussbiegung.
    Ein Schwarm Kanadagänse hatte das Fortziehen aufgegeben und sich als Dauergäste in einem kleinen, von einer Rasenfläche umgebenen Teich neben dem Parkhaus des Universitätskrankenhauses niedergelassen; ich fuhr jeden Tag auf dem Weg zur Body Farm an ihnen vorbei. Der Schwarm, der sich zweifellos zu seiner Weisheit und zu seinem Glück gratuliert hatte, einen so auserlesenen Teich in Besitz genommen zu haben, wirkte von Tag zu Tag verzweifelter, denn der Teich schrumpfte, verdorrte zu einer Pfütze und dann zu einem Schlammloch und schließlich zu einem runden Fleck lehmig roter Erde – in spöttischer Umkehrung dessen, was er einst gewesen war. Eines Tages hielt ich am Straßenrand und stieg aus, um einen genaueren Blick darauf zu werfen. Die rissige Erde – sich aufrollende Flecken Lehm so groß wie Untertassen und dazwischen dunkle, tiefe Risse – sah aus wie eine alptraumhafte dreidimensionale Version einer abgelegten Giraffenhaut. Als ich in die Spalten linste, stand mir lebhaft eine Kindheitsangst vor Augen, die mich vor einem halben Jahrhundert in heißen, trockenen Sommern gequält hatte: Was wäre, wenn es dem Teufel gelang, aus der Hölle zu entkommen und durch die Risse in der Erde auszubrechen? Was, wenn er hochkäme, während ich gerade vorbeiging, meine zarte, junge Seele reif zum Pflücken? Plötzlich traf es mich: Das war nicht nur eine kindliche Angst. Garland Hamilton lief in diesem höllischen Sommer frei auf dieser Erde herum. Trotz der Hitze zitterte ich und floh in meine Forschungseinrichtung, um zwischen den Leichen Zuflucht und Ablenkung zu suchen. Doch selbst dort, selbst im Tod, schienen die Leichen unter der Hitze zu leiden. Dunkle, schmierige Flecken – flüchtige Fettsäuren, die aus dem Gewebe sickerten, während es sich verflüssigte – sammelten sich um die Leichen, genau wie der Schweiß sich sammelte und mein Hemd durchnässte. Eine Leiche, die Miranda und ich erst vor zwei Tagen am Rand der Lichtung in die Sonne gelegt hatten, war sogar geplatzt wie ein Ballon; in ihrem Bauchraum hatten sich so rasch Gase gebildet, dass die Haut dem Druck nicht hatte standhalten können. Wo einst der Bauch eines Mannes gewesen war, war jetzt ein klaffender, von zerfetzten Eingeweiden umrahmter Krater. Ich besah es mir. In all den Jahren hatte ich noch nie eine Leiche platzen sehen. Wissenschaftlich betrachtet war es faszinierend; vom emotionalen Standpunkt war es bestürzend, ein weiterer Hinweis darauf, dass wir von einer glutheißen Plage biblischen Ausmaßes heimgesucht wurden. Ich machte einige Fotos, um das Ereignis zu dokumentieren – ohne sie würde kein Mensch meiner Beschreibung Glauben schenken –, und floh dann in die schattigen, klimatisierten Flure unter dem Neyland-Stadion.
    Ich hatte mir einen anständigen Regen gewünscht, der die Luft reinigte und die verdorrte Erde kühlte. Am Nachmittag erschütterte Donner die schmutzigen Fenster und die gewaltigen Träger des Stadions. Doch als ich am Abend nach Hause fuhr, war die Luft immer noch dunstig und der Boden ausgedörrt, und ich kam zu dem Schluss, dass es nur ein Wetterleuchten war, das mit meinen Hoffnungen spielte.
    Doch ich irrte mich. Denn als ich mir zum Abendessen eine Dosensuppe in die Mikrowelle schob, schlugen die Äste der großen Eichen im Hof vor dem Haus durch die Luft wie Palmen in einem Hurrikan. Innerhalb weniger Minuten wurde der Himmel purpurrot und dann schwarz. Ein Blitz erhellte die Welt, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donnern, und dann peitschte strömender Regen – sintflutartiger, horizontaler Regen –, auf die nach Westen gelegenen Fenster meines Hauses ein.
    Bei Gewitter saß ich eigentlich gerne auf der Veranda hinter dem Haus; doch als ich jetzt aus der Tür trat, durchnässte mich ein Sprühregen – der Regen wurde von dem Drahtgeflecht der Fliegengitter zwar in winzige Tröpfchen geteilt, aber nicht aufgehalten – von Kopf bis Fuß, sodass ich rasch wieder hineinhuschte, um Schutz und trockene Kleider zu suchen.
    Was ich an dem Haus besonders mochte war die nach Westen weisende Fensterreihe im Wohnzimmer. An Sommerabenden war es im Wohnzimmer meistens hell genug, um bis nach acht dort zu lesen. Heute Abend war es um sieben Uhr finster wie um Mitternacht, die Dunkelheit wurde von blendenden

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