Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Hand voll Asche

Eine Hand voll Asche

Titel: Eine Hand voll Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
Vom Netzwerk:
Schädel des Obdachlosen leuchtete auf. Eine Weile studierte ich die Gesamtkontur, dann konzentrierte ich mich auf die gebogten Ränder der Stirnbeinhöhle. Die Kontur ähnelte einer Küste, doch es war ein unbekanntes Land, das ich hier ansteuerte. Ich holte mir das Tablett mit den Schädelfragmenten von der Brandstätte in Cooke County und stieß einen verzweifelten Seufzer aus. Es war keine simple Frage der Navigation; was hier erforderlich war – womit Miranda seit Tagen gekämpft hatte –, war, aus den winzigen, verkohlten Bruchstücken, die wir aus den schwelenden Ruinen der Hütte geborgen hatten, eine zweite Karte zusammenzusetzen. Wenn das nicht gelang, würden wir niemals sagen können, ob die Geländepunkte denen von Parnells Schädel entsprachen oder nicht.
    Ich drehte das Röntgenbild um, sodass ich von hinten auf die Stirnbeinhöhle schaute, quasi aus dem Innern von Parnells Schädel, und legte dann die beiden Bruchstücke, die Miranda gewissenhaft zusammengefügt hatte, mit der gebogenen inneren Oberfläche nach oben direkt unter das Bild der Knochenhöhle. Durch das Gitterwerk des Stadions fiel das Tageslicht in einem spitzen Winkel durch das Fenster, einem Winkel, der die Konturen der Höhlen in dem verrußten Knochen deutlich hervorhob. Ich schaute zuerst auf das erste Bruchstück, dann auf das zweite, drehte und kippte die Stücke in fast mikroskopisch kleinen Bewegungen, und meine Augen huschten bei jeder noch so kleinen Bewegung zwischen dem Knochen und dem Röntgenbild hin und her. Man sollte meinen, es wäre leicht festzustellen, ob ein zwölf Millimeter großes Knochenstück zu einem Abschnitt eines fünf Zentimeter großen Bilds passt, doch es war zum Verrücktwerden. Ich hatte es hier nicht mit der Karte einer Küstenlinie zu tun, sondern mit einem Tausend-Teile-Puzzle eines wolkenverhangenen Himmels. Ich versuchte, ein winziges Detail auf die richtige Stelle auf dem Deckel der Schachtel – so etwas Ähnliches war das Röntgenbild schließlich – zu legen, ohne zu wissen, ob dieses Puzzlestück überhaupt aus dieser Schachtel stammte.
    Nach einer halben Stunde begannen meine Augen, mir Streiche zu spielen. Ich glaubte nicht, dass die Bruchstücke zu dem Röntgenbild passten, aber ich wollte auch nicht, dass sie passten. Ich wollte, dass dies der Schädel von Garland Hamilton war, und nicht der eines armen Obdachlosen. Bei jedem anderen forensischen Fall wäre ich in der Lage gewesen, diese Knochenhöhlen mit wissenschaftlicher Strenge und Objektivität zu vergleichen, es hätte mich persönlich nicht die Bohne geschert, ob der Vergleich eine positive Identifikation ergab, einen positiven Ausschluss oder unzureichende Informationen, um die eine oder andere Schlussfolgerung zu untermauern. Halt dich an die Fakten, sag die Wahrheit und überlass den Rest den anderen, das war stets eines meiner Leitprinzipien gewesen. Doch nie zuvor hatte ein Fall so viel mit mir persönlich zu tun gehabt. Hinzu kam, dass die Fakten in diesem Fall gewaltig schwer zu greifen waren.
    Beide Knochenbruchstücke noch in Händen, rieb ich mir mit den Handrücken die Augen. Und da sah ich einen winzigen Lichtstrahl, der durch eine der Nahtstellen fiel, wo Miranda das größere der zwei Fragmente zusammengeklebt hatte. Ich drehte das Bruchstück nach links und nach rechts und musterte die winzige Lücke. Dann legte ich das andere Stück ab, um es genauer betrachten zu können. Ich drehte mich zu dem Labortisch hinter mir um, schaltete die beleuchtete Lupe ein und hielt das Stück unter die Linse. Der Knochen strahlte praktisch unter der eingebauten Neonröhre. Fünffach vergrößert, wirkte die geklebte Verbindung gewellt und schartig, fast wie die Knochennähte, die sich ganz natürlich im Schädel bilden, wenn die einzelnen Schädelplatten sich im Laufe der Kindheit verbinden. Die innerste der drei Knochenschichten, die Diploe, hatte sich abgelöst und die Grenze freigelegt, wo die Knochenhöhle aufhörte und die schwammartige innere Knochenschicht begann. Wenn diese Ablösung nicht stattgefunden hätte, wären Miranda und ich gezwungen gewesen, die rekonstruierten Stücke zu röntgen, um die Grenze der Knochenhöhle zu erkennen, statt das Cavum während der Arbeit daran Form annehmen zu sehen.
    Selbst unter dem Vergrößerungsglas war es schwierig, die Lücke zu finden, durch die das Licht geschimmert hatte. Zweimal musste ich die Lampe umdrehen und mir das Licht ins Gesicht scheinen lassen, um es noch einmal

Weitere Kostenlose Bücher