Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Hand voll Asche

Eine Hand voll Asche

Titel: Eine Hand voll Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
Vom Netzwerk:
ich den Schatten auf dem Blatt Papier über dem kleinen Fenster gesehen. Da ist mir ziemlich mulmig geworden, und noch schlimmer wurde es, als der Türknauf gedreht wurde, sehr langsam – erst in die eine, dann in die andere Richtung –, und die Tür anfing zu klappern und zu zittern, weil jemand am Knauf rüttelte.
    Ich habe geschrien: ›Wir haben zu!‹ Da hat die Tür noch mehr gezittert. ›Ich rufe die Polizei!‹, habe ich gesagt, und das Beben ist noch heftiger geworden. Ich habe das Telefon genommen und den Notruf gewählt, doch in dem Augenblick ist die Scheibe zerbrochen und ein Arm ist durchs Fenster gekommen.
    Da habe ich Panik bekommen. Er ist durch die einzige Tür ins Labor gekommen. Ich habe überlegt, ob ich versuchen könnte, aus dem Fenster zu klettern, aber ich bin davon ausgegangen, dass er mich hören und nach draußen laufen würde, sobald ich draußen war. Ich habe mir gedacht, meine Chancen wären größer, wenn ich das Licht ausmachte und mich zwischen den Regalen da hinten versteckte.«
    »Wissen Sie, wer es war? Haben Sie sein Gesicht gesehen?«
    »Nein.« Sie runzelte die Stirn, fast als wäre sie wütend auf sich. »Alles, was ich sehen konnte, war eine Männerhand. Langärmliges Jeanshemd. OP-Handschuhe.«
    »Entschuldigen Sie bitte?«, meldete sich ein Rettungssanitäter zu Wort. Miranda und ich schauten ihn verdutzt an. Ich war so in ihre Geschichte vertieft gewesen, dass ich vergessen hatte, dass noch andere Menschen im Raum waren. »Wie können Sie so genau sagen, dass es die Hand eines Mannes war, wenn die Person Handschuhe trug?«
    Miranda sah ihn zornig an. »Ich habe in den letzten Jahren ja nur ein paar Millionen männliche und weibliche Händen vermessen«, sagte sie. Ein paar Millionen war übertrieben, aber nur leicht. »Den Unterschied erkenne ich auf fünfzig Meter.« Das war ganz gewiss nicht übertrieben.
    Ich zeigte auf das verschmierte Blut an der Tür. »Dann ist das nicht Ihr Blut?«
    »Nein«, sagte sie mit deutlicher Genugtuung. »Das ist seins.«
    »Gut. Das kriminaltechnische Labor sollte keine Mühe haben, davon eine DNA-Probe zu nehmen.«
    »Die Lorbeeren dafür, dass wir diese Probe bekommen haben, beanspruche ich aber für mich«, sagte sie.
    Ich schaute sie fragend an.
    »Als ich aufgesprungen bin, um das Licht auszuschalten, habe ich mir einen Oberschenkelknochen gepackt, der auf dem Arbeitstisch lag. Und als er den Schließriegel aufschob, habe ich ihm ordentlich eins auf den Arm gegeben. Dabei ist sein Arm wahrscheinlich über die Glasscherben geschrammt.« Ihre Kaltblütigkeit verblüffte mich. »Wenn sein Oberarm nicht gebrochen ist, dann hat er wenigstens eine Wahnsinnsprellung.«
    »Wahrscheinlich zwei«, korrigierte ich sie. »Eine da, wo Sie ihn geschlagen haben, und die andere, da, wo sein Arm auf die Tür geknallt ist.« Sie grinste, und ich staunte über ihre Tapferkeit.
    »Aber das hat ihn nicht verscheucht?«
    »Das wäre schön gewesen. Inzwischen hat er die Tür aufgerissen. Ich habe das Licht ausgeschaltet und bin in den hinteren Bereich des Labors gelaufen.«
    Mein Herz klopfte wie wild. »Gott«, sagte ich, »ich weiß, dass es am Ende gut ausgegangen ist, und trotzdem stehe ich hier Todesängste aus.«
    »Solange Sie sich nicht in die Hose machen, haben Sie noch nicht so viel Angst wie ich vorhin«, sagte sie und zeigte auf das blaue Laken, mit dem sie zugedeckt war. Mitten darauf prangte ein feuchter Fleck. »Das letzte Mal, als ich in die Hose gemacht habe, war in der ersten Klasse«, sagte sie, »nach der Schule auf der Schaukel. Meine Mutter kam mich zu spät abholen, und ich war zu schüchtern, um reinzugehen und Mrs. Downey zu fragen, ob ich auf die Toilette dürfte. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, also habe ich auf der Schaukel gesessen, bin vor und zurück geschaukelt und habe in weitem Bogen in den Sand gepinkelt.«
    Die Vorstellung, wie Miranda als Sechsjährige auf der Schaukel hockte und pinkelte, löste den Bann der Angst, und ich drückte ihre Schulter. »Erzählen Sie mir den Rest.«
    »Ich bin ganz oben auf ein Regal geklettert – das da drüben«, sagte sie und zeigte auf ein Regal auf halbem Weg zur Rückwand des Labors. »Ich dachte, im Dunkeln findet er mich da oben nicht. Ich habe gehört, wie er durch die Reihen gegangen und ab und zu stehen geblieben ist, um auf meinen Atem zu lauschen. Schließlich ist er zur Tür, und ich dachte schon, er würde verschwinden. Aber dann ging das Licht

Weitere Kostenlose Bücher