Eine Hand voll Asche
aufzog. Er grinste.
»Ich mochte das Geräusch immer«, sagte er. »Der Typ, der am Haus gearbeitet hat, hat die alten Scharniere durch neue ersetzt, die überhaupt kein Geräusch von sich gaben. Da hab ich ihn gebeten, die neuen Scharniere aus- und die alten wieder einzubauen.«
O’Conner verschwand und kam mehrere Minuten später mit zwei großen Keramikbechern aus der Küche. Der Becher, den er mir reichte, war eiskalt und am oberen Rand bereift – frisch aus dem Tiefkühlschrank. Ich trank einen Schluck. Den heißen Ginsengtee von O’Conner hatte ich schon einmal getrunken, doch Ginseng-Eistee hatte ich noch nie probiert. Er schmeckte mir. Er hatte den leicht erdigen, scharfen Geschmack, an den ich mich erinnerte, und einen Hauch Honig sowie vielleicht ein wenig Obstsaft darin.
»Gut«, sagte ich. »Sie sollten das Zeug in Flaschen füllen.«
Er lächelte. »Steht so im Businessplan – fürs zweite Jahr«, sagte er. »Sie haben einen Sinn fürs Geschäft, Doc.«
Ich trank noch einen Schluck. »Nein, ich weiß nur, was lecker ist, wenn ich einen Schluck davon trinke«, sagte ich.
O’Conner setzte sich auf den zweiten Stuhl und begann im Rhythmus mit mir zu schaukeln. Zwischen den Schaukelstühlen stand ein kleiner Tisch, auf dem eine Fernbedienung lag. O’Conner drückte einen Knopf, und ein Deckenventilator rührte über unseren Köpfen eine leichte Brise auf.
»Noch eine Neuerung«, bemerkte ich.
»Ja«, sagte er. »Normalerweise geht hier ein schönes Lüftchen, aber diesen Sommer war es so heiß, dass ich am Ende nachgegeben und ein bisschen Technik angeschafft habe. Inzwischen weiß ich schon nicht mehr, wie ich ohne das Ding zurechtgekommen bin. Ich habe jetzt ein Haus in der Stadt, aber manchmal, wenn die Nacht nicht zu heiß ist, komme ich hier rauf und schlafe auf der Veranda.« Er zog an dem Tischchen eine Schublade auf und holte eine kleine silberne Flasche heraus. »Möchten Sie ein Schlückchen Jack hinein?«, fragte er.
»Nein danke.«
»Stimmt, Sie trinken ja nicht«, sagte er. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich bei mir ein Schlückchen dazukippe?«
»Nur zu«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob es wirklich den Geschmack verbessert, aber Sie wissen wahrscheinlich, was Sie tun.«
»Ich habe ausgiebig getestet«, sagte er. »Und ich glaube, ich habe genau das richtige Verhältnis gefunden.« Er schenkte einen winzigen Schluck hinein – es konnten keine dreißig Milliliter gewesen sein –, dann schraubte er den Deckel wieder auf die Taschenflasche und gab sie zurück in die Schublade. »Anders«, sagte er, tat einen Schluck und ließ ihn sich auf der Zunge zergehen, »aber mächtig gut.«
»Wollen Sie die Version auch in Flaschen abfüllen?«, fragte ich.
Er lachte. »Im dritten Jahr. Gut, dass ich nicht versuche, irgendwelche Geschäftsgeheimnisse vor Ihnen zu hüten.«
Wir schaukelten bis zum Sonnenuntergang und dann noch ein Weilchen, der Sheriff und ich. Als das Tageslicht schwand, verloren sich auch unsere Worte, und die Nacht hüllte uns in eine Decke behaglichen Schweigens. Nach einer Weile bemerkte ich, dass Jim und ich nicht allein auf der Veranda waren. Leena Bonds – Jims ermordete Liebste – war bei uns, irgendwo im Dunkeln hinter ihm. Genau wie Jess Carter bei mir war, auf die Weise, wie jeder, den man je geliebt hat, bei einem bleibt, egal was mit einem selbst oder dem anderen passiert.
Während hier unten die Schaukelstühle knarrten und da oben die Sterne herauskamen, spürte ich, wie sich der Schmerz und die Angst in mir legten. An ihre Stelle traten – wie ich mit Verwunderung feststellte – zumindest für diesen Augenblick Frieden und ein Gefühl, das ich nur als stille, unvermutete Freude bezeichnen konnte.
21
Es passierte selten, dass ich lange genug aufblieb, um mir die Elf-Uhr-Nachrichten anzusehen, doch ich kam spät aus Cooke County zurück. Abgesehen davon hatte Channel 10 einen Bericht über den aktuellen Stand der Großfahndung nach Garland Hamilton angekündigt. Vom Staatsanwalt von Knox County hatte ich erfahren, dass die Generalstaatsanwaltschaft Tennessee eine Belohnung von zwanzigtausend Dollar ausgesetzt hatte für Informationen, die zu Hamiltons Festnahme und Verhaftung führten, und Channel 10 kündigte an, die Nachrichtensendung mit weiteren Einzelheiten zu eröffnen. Jess Carter hatte eng mit den Staatsanwaltschaften zusammengearbeitet, folglich hatten die ein besonderes Interesse daran, ihren Mörder wieder einzufangen.
Die
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