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Eine Hand voll Asche

Eine Hand voll Asche

Titel: Eine Hand voll Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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abhängig davon, wer die Mischung macht. Ich schenkte eine kleine Probe auf den Boden des Bechers, um zu sehen, womit ich es hier zu tun hatte. Der Tee war so dick und klebrig, dass ich ihn fast mit einer Gabel hätte essen können. Hier kamen auf zwanzig Liter Tee sicher fünf Pfund Zucker. Ein Pfund auf vier Liter , ein Viertelpfund auf einen Liter , dachte ich. Das kann man sich gut merken , und der Formel wohnt eine gewisse Symmetrie inne . Um das Risiko eines Zuckerkomas zu senken, suchte ich Zitronensaft – eine Zitrone pro Becher würde wohl in etwa hinkommen –, doch es gab keinen. Das Nächstbeste war meiner Meinung nach, den Tee mit Limonade zu verdünnen. Ich füllte den Becher halb mit Tee und machte mich dann daran, Limonade aufzufüllen, wobei ich alle paar Spritzer eine Pause machte, um zu probieren. Als ich etwa ein Verhältnis fünfzig zu fünfzig hatte, hatte ich die Süße im Griff, allerdings schmeckte das Gebräu kaum noch nach Tee. Das Leben besteht aus Kompromissen , ermahnte ich mich.
    Als ich einen Deckel auf den Becher tat, hörte ich hinter mir etwas, was ich als tiefes, anhaltendes Lachen verstand. Ich drehte mich lächelnd um, um zu sehen, wer da lachte und warum. Ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass ich mich bei den Lauten um hundertachtzig Grad vertan hatte. Eine junge Frau in Hardee’s-Uniform beugte sich über das eine Ende der Theke, wo die Registrierkasse stand, und stieß, das Gesicht in den Händen vergraben, herzzerreißende Schluchzer aus. Sie war jung – eigentlich noch ein Mädchen, kaum älter als zwanzig – und mollig, und als sie einen Augenblick das Gesicht hob, war darin etwas, was mich überlegen ließ, ob sie geistig leicht zurückgeblieben war.
    Ich blickte zu dem Mann hinter der Registrierkasse und erwartete, dass er zu ihr eilte, um Hilfe oder Trost anzubieten. Doch er wandte sich dem nächsten Kunden in der Reihe zu und sagte: »Möchten Sie heute ein Cheeseburger-Menü probieren?« Der Kunde – ein Mann in schwarzem Anzug, weißem Hemd und einer roten Krawatte, die fest um seinen Hals geknotet war – musterte aufmerksam die Speisekarte über dem Tresen und bestellte dann ein Sandwich mit Hühnchenfilet und eine große Portion Pommes Frites. Es war, als wäre die weinende Frau gleich neben ihm Luft. Eine andere Angestellte, eine Frau mittleren Alters, warf einen Blick auf das Mädchen und schaute dann weg. Sie wich auch meinem fragenden Blick aus und wandte sich wieder der Milchshake-Maschine zu.
    Es ging mich nichts an, ehrlich. Vielleicht hatten die Kollegen des Mädchens einen guten Grund, ihre Tränen zu ignorieren – vielleicht beugte sie sich in ihrer Pause, statt nach draußen zu gehen, um eine zu rauchen, zweimal am Tag über den Tresen und schluchzte. Doch irgendwie bezweifelte ich das, und ich spürte als Reaktion auf ihr Weinen eine gewaltige Traurigkeit in mir aufsteigen. Ich ging langsam zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    Nach einem Augenblick hob sie den Kopf und sah mich mit fleckigem Gesicht und verquollenen, trostlosen Augen an. »Nein«, flüsterte sie, vergrub das Gesicht wieder in den Händen und schluchzte weiter.
    »Tut mir leid«, sagte ich.
    »Bacon-Cheeseburger zum Mitnehmen«, rief der Mann an der Kasse. Ich hob die Hand von der Schulter des Mädchens, nahm die Tüte und ging zu meinem Wagen zurück. Warum war die Welt so voller Schmerz? Warum hatten manche Menschen einen viel größeren Anteil an Schmerz zu tragen als andere? Ich wünschte mir, ein Teil der überflüssigen Süße in dem Teebehälter würde irgendwie in das Leben des armen Mädchens überschwappen.

25
    Am Montagmorgen stand Darren Cash in meiner Bürotür, unter dem Arm einen riesigen Bogen zusammengerolltes Papier – vermutlich eine Blaupause. Ich sagte: »Hallo« und wies dann mit einem Nicken auf die Rolle. »Was haben Sie da?«
    »Ich hatte gehofft, dass Sie mich das fragen.« Er schob einen Gummi von einem Ende und strich eine Katasterkarte auf meinem Schreibtisch glatt.
    »Faszinierend«, sagte ich.
    »Das ist es tatsächlich. Das hier ist der Middlebrook Pike«, sagte er und zog eine Linie, die von der Nähe der Innenstadt raus nach Westen und dann nach Süden führte. »Hier liegt die Latham-Farm.«
    Ich betrachtete die Grenzen auf der Flurkarte. »Wie groß ist sie – hundert Morgen?«
    »Fast«, sagte er. »Achtzig.«
    »Ein ziemlich großes Stück Land, so nah an der Innenstadt von

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