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Eine handvoll Dunkelheit

Eine handvoll Dunkelheit

Titel: Eine handvoll Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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wieder in Vergessenheit geraten«, murmelte Sung-wu gelassen. »Er hat keine eigentliche Daseinsberechtigung, sondern fungiert nur als Ventil zum Dampfablassen.«
    Chai war nicht überzeugt. Erneut überflog er einige Absätze des Berichtes. »Ich nehme an, Sie haben recht, aber wir haben soviel gehört ...«
    »Lügen«, erklärte Sung-wu. »Gerüchte. Geschwätz. Darf ich gehen?«
    »Sie können es wohl kaum erwarten, Ihren Urlaub anzutreten?« Chai lächelte verständnisvoll. »Ich weiß, wie Sie sich fühlen. Dieser Auftrag muß sehr anstrengend gewesen sein. Ländliche Gebiete, stumpfsinnige Hinterwäldler ... Wir müssen ein besseres Erziehungsprogramm für die ländlichen Gebiete aufstellen. Ich befürchte, daß ganze Regionen sich in einem ungeläuterten Zustand befinden. Wir müssen diesen Menschen die Klarheit bringen. Das ist unsere historische Aufgabe; unsere Klassenfunktion.«
    »Gewiß«, murmelte Sung-wu, während er sich beim Hinausgehen verbeugte.
    Nachdenklich befingerte er seine Gebetsperlen. Er betete stumm, während seine Finger über die Oberfläche der kleinen roten Kugeln tasteten, glänzende Murmeln, die im Gegensatz zu den verblichenen alten hell schimmerten – das Geschenk der Tinkeristen. Die Perlen würden ihm zugute kommen; fest umklammerte er sie. Ihnen durfte in den nächsten acht Monaten nichts passieren. Er mußte auf sie achtgeben, wenn er in den verfallenen Städten Spaniens herumstöberte – und schließlich an der Seuche erkranken würde.
    Er war der erste Barde, der einen Rosenkranz aus Penicillinkapseln trug.
     
Nachwuchs
    (PROGENY)
     
    Ed Doyle beeilte sich. Er winkte ein Bodentaxi heran, wedelte mit einer Fünfzigkreditnote vor dem Gesicht des Robotchauffeurs herum, wischte mit seinem roten Taschentuch über sein verschwitztes Antlitz, öffnete den Kragen, transpirierte und befeuchtete seine Lippen und schluckte den ganzen Weg bis zum Krankenhaus.
    Das Bodentaxi hielt sanft vor dem großen Krankenhausgebäude mit dem weißen Kuppeldach an. Ed sprang hinaus und hastete die Treppe hinauf, nahm drei Stufen mit jedem Schritt, drängte sich an den Besuchern und Patienten, die auf der großen Terrasse standen, vorbei. Er drückte mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür und betrat die Halle, so daß die Pfleger und die mit hochwichtigen Arbeiten beschäftigten anderen Personen erstaunt aufblickten.
    »Wo?« fragte Ed, sah sich um, die Beine gespreizt, die Fäuste geballt, während sich sein Brustkorb heftig hob und senkte. Er atmete heiser, rauh wie ein Tier. Schweigen legte sich über die Halle. Jeder wandte sich ihm zu und hielt in der Arbeit inne. »Wo?« fragte Ed erneut. »Wo ist sie? Wo sind sie?«
    Es war ein Glück, daß Janet an diesem Tag von ihrem Kind entbunden worden war. Proxima Centauri war weit entfernt von der Erde, und die Schiffsverbindungen waren schlecht. In Erwartung der Geburt seines Kindes hatte Ed Proxima schon vor einigen Wochen verlassen. Soeben war er in der Stadt angekommen. Während er seine Koffer in der Gepäckaufbewahrung der Station aufgegeben hatte, war ihm die Mitteilung durch einen Robotkurier überbracht worden: Los Angeles Zentralkrankenhaus. Sofort.
    Ed beeilte sich. Und während er rannte, empfand er Genugtuung darüber, daß seine Schätzung richtig gewesen war und er fast auch die genaue Stunde berechnet hatte. Es war ein angenehmes Gefühl. Er hatte es schon früher empfunden, während all der Jahre seiner Geschäftsreisen zu den ›Kolonien‹, der Grenze, am Rand der irdischen Zivilisation, wo die Straßen noch immer von elektrischem Licht erhellt wurden und man die Türen per Hand öffnen mußte.
    Daran mußte er sich auch wieder gewöhnen, auch wenn es schwerfiel. Ed drehte sich zur Tür um und kam sich plötzlich närrisch vor. Er hatte sie aufdrücken wollen und gar nicht auf das Kameraobjektiv geachtet. Die Tür schloß sich nun, glitt langsam zu. Er wartete, bis er sich beruhigt hatte, und steckte das Taschentuch in die Manteltasche. Die Angestellten des Krankenhauses hatten ihre Arbeit wieder aufgenommen und machten dort weiter, wo sie unterbrochen worden waren. Einer der Pfleger, ein stämmiges, nagelneues Modell, näherte sich Ed und blieb vor ihm stehen.
    Der Roboter balancierte kunstfertig seine Notiztafel, und die Fotozellen seiner Augen betrachteten Eds gerötete Gesichtszüge. »Darf ich fragen, zu wem Sie wollen, Sir? Wen möchten Sie besuchen?«
    »Meine Frau.«
    »Ihr Name, Sir?«
    »Janet. Janet Doyle. Sie hat

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