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Eine handvoll Dunkelheit

Eine handvoll Dunkelheit

Titel: Eine handvoll Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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vier der hochgewachsenen Kauks lungerten darum herum, weißgesichtig, haarig, mit Zigaretten, die an ihren trägen Lippen klebten. Benommen glitt Sung-wu den Hang wieder hinunter und fühlte Verzweiflung. Das Schiff war verloren; sie hatten es vor ihm erreicht. Was sollte er nun unternehmen?
    Es war fast Abend. Er würde achtzig Kilometer durch die Dunkelheit marschieren müssen, durch fremdes, feindliches Gebiet, um den nächsten bewohnten Landstrich zu erreichen. Die Sonne begann bereits unterzugehen, und es wurde kühl; und darüber hinaus war er schlammbedeckt und von schleimigem Wasser durchnäßt. Im Zwielicht war er ausgerutscht und in einen Abwasserkanal gestürzt.
    Mit kreisenden Gedanken hastete er den Weg zurück. Was konnte er tun? Er war hilflos; seine Splitter-Pistole war unbrauchbar gewesen. Er war allein, und er besaß keinen Kontakt mit dem Arm. Überall trieben sich die Tinkeristen herum; wahrscheinlich würden sie ihm die Kehle durchschneiden und sein Blut über den Feldern verspritzen – oder noch Schlimmeres anstellen.
    Eine Farm tauchte vor ihm auf. In dem verblassenden Zwielicht arbeitete eine undeutlich erkennbare Gestalt, eine junge Frau. Sorgfältig beobachtete er sie, als sie an ihm vorbeiging; sie wandte ihm den Rücken zu. Sie bückte sich zwischen den Getreidehalmen. Was machte sie da? Sie wollte doch nicht – heiliger Elron!
    Blindlings stolperte er über das Feld auf sie zu, vergaß alle Vorsicht. »Junge Frau! Aufhören! Im Namen Elrons, hören Sie sofort auf.«
    Das Mädchen richtete sich auf. »Wer sind Sie?«
    Atemlos baute sich Sung-wu vor ihr auf, hielt seine zerknitterte Aktentasche umklammert und keuchte. »Das sind unsere Brüder! Wie können Sie sie vernichten? Vielleicht sind es nahe Verwandte, die kürzlich erniedrigt wurden.« Er hob den Arm und schlug ihr das Glas aus der Hand; es fiel zu Boden, und die eingeschlossenen Käfer krabbelten in alle Richtungen davon.
    Die Wangen des Mädchens röteten sich vor Zorn. »Ich habe eine Stunde gebraucht, um sie zu fangen!«
    »Sie wollten sie töten! Sie zertreten!« Er war sprachlos vor Grauen. »Ich habe Sie beobachtet!«
    »Natürlich.« Das Mädchen wölbte die schwarzen Augenbrauen. »Sie fressen das Korn.«
    »Sie sind unsere Brüder!« wiederholte Sung-wu wütend. »Natürlich fressen sie das Korn; denn sie haben bestimmte Sünden begangen und sind deshalb von den kosmischen Mächten ...« Verblüfft brach er ab. » Wissen Sie das denn nicht? Hat man Ihnen nie davon erzählt?«
    Das Mädchen war ungefähr sechzehn. In dem abnehmenden Licht wirkte sie klein und schlank, wie sie dastand, mit dem leeren Glas in der einen Hand, einen Stein in der anderen ... Ein schwarzer Haarzopf wippte in ihrem Nacken. Ihre Augen waren groß und leuchtend; ihre Lippen voll und von einem tiefen Rot; ihr Kinn war von einem zarten Kupferbraun – wahrscheinlich war sie polynesischer Abstammung. Er erhaschte einen Blick auf ihre straffen braunen Brüste, als sie sich bückte und nach einem Käfer griff, der auf dem Rücken gelandet war. Sein Puls begann zu rasen, und blitzartig fühlte er sich wieder um drei Jahre zurückversetzt.
    »Wie heißt du?« fragte er in einem freundlichen, vertraulichen Tonfall.
    »Frija.«
    »Wie alt bist du?«
    »Siebzehn.«
    »Ich bin ein Barde; hast du schon jemals mit einem Barden gesprochen?«
    »Nein«, murmelte das Mädchen. »Ich glaube nicht.«
    In der Dunkelheit war sie nun fast unsichtbar. Sung-wu konnte sie kaum erkennen, aber was er sah, das versetzte sein Herz in qualvolle Erregung: das gleiche schwarze Haarvlies, die gleichen tiefroten Lippen. Das Mädchen war jünger, natürlich – fast noch ein Kind und dazu noch Angehörige der Bauern-Klasse. Aber es besaß Luis Figur, und bald würde es voll erblüht sein, vermutlich schon in wenigen Monaten.
    Alterslose, kraftvolle Zärtlichkeit prägte seine Stimme. »Ich bin in diesem Gebiet gelandet, um eine Untersuchung durchzuführen. Irgend etwas stimmt mit meinem Schiff nicht, und ich muß diese Nacht wohl hier verbringen. Allerdings kenne ich hier niemanden. Deshalb meine Bitte ...«
    »Oh«, stieß Frija mit unvermittelter Freundlichkeit hervor. »Warum bleiben Sie nicht die Nacht über bei uns? Jetzt, da mein Bruder fort ist, steht ein Zimmer leer.«
    »Ausgezeichnet«, nickte Sung-wu sofort. »Würdest du mir bitte den Weg zeigen? Ich werde auch für eure Gastfreundschaft bezahlen.« Das Mädchen bewegte sich auf einen verschwommenen Schatten zu, der

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