Eine handvoll Dunkelheit
Und danke, daß du gekommen bist und mir vorgelesen hast.« Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. »Vielleicht sehen wir uns noch einmal wieder.«
»Mein Vater ...«
»Ich weiß.« Sie lachte vergnügt und öffnete ihm die Tür. »Auf Wiedersehen, Bernard. Auf Wiedersehen.«
Sie sah ihm nach, wie er langsam die Treppe hinunterstieg, eine Stufe nach der anderen nahm. Dann schloß sie die Tür und huschte ins Schlafzimmer zurück. Sie knöpfte ihr Kleid auf und schlüpfte heraus, und das graue, abgetragene Material ekelte sie plötzlich an. Einen kurzen Moment stand sie da und betrachtete ihren runden, reifen Körper, die Hände an die Hüften gelegt.
Sie lachte vor Erregung und drehte sich leicht, und ihre Augen blitzten. Was für ein wundervoller, vor Leben berstender Körper. Und schwellende Brüste – sie liebkoste sich. Das Fleisch war fest. Es gab soviel zu tun! Sie sah sich an und atmete heftig. So viele Dinge! Sie ließ Wasser in die Badewanne laufen und machte sich daran, ihr Haar hochzustecken.
Der Wind pfiff um ihn herum, während er nach Hause stolperte. Es war spät, die Sonne war untergegangen, und der Himmel war dunkel und wolkenbehangen. Der Wind, der ihm entgegenblies, war kalt, und er durchdrang seine Kleidung und ließ ihn frieren. Der Junge war müde, er hatte Kopfschmerzen, und alle paar Minuten hielt er an, rieb seine Stirn und ruhte aus, mit mühsam pochendem Herzen. Er verließ die Elm Street und bog in die Pine Street ein. Der Wind heulte um ihn herum, ließ ihn von einer Seite zur anderen schwanken. Er schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Wie erschöpft er war, wie müde seine Arme und Beine waren. Er fühlte, wie sich der Wind ihm entgegenstemmte und an ihm zerrte.
Er atmete ein und ging mit gesenktem Kopf weiter. An der Ecke blieb er stehen und hielt sich an dem Laternenpfahl fest. Der Himmel war vollkommen schwarz, und die Straßenlampen wurden eingeschaltet. Schließlich schritt er, so gut es ging, weiter.
»Wo steckt nur der Junge?« fragte May Surle und trat zum zehntenmal auf die Veranda. Ralf schaltete das Licht ein, und sie standen nebeneinander da. »Was für ein schrecklicher Wind.«
Der Wind pfiff und heulte um die Veranda. Die beiden blickten die dunkle Straße hinunter, aber bis auf ein paar Zeitungen und Abfall, die von den Böen mitgeführt wurden, war nichts zu sehen.
»Gehen wir hinein«, sagte Ralf. »Wenn er nach Hause kommt, kann er sich erst einmal auf eine Tracht Prügel gefaßt machen.«
Sie setzten sich an den Abendtisch. Schließlich legte May ihre Gabel hin. »Hör doch! War da nicht etwas?«
Ralf lauschte.
Draußen, vor der Tür, erklang ein leiser Laut, ein Klopfen. Er stand auf. Der Wind heulte um das Haus und bauschte die Gardinen. »Ich werde nachschauen«, erklärte er.
Er ging zur Tür und öffnete sie. Etwas Graues, etwas Graues und Trockenes wurde gegen die Veranda geweht, vom Wind getragen. Er musterte es, aber er konnte nicht erkennen, um was es sich dabei handelte. Ein Bündel Unkraut, ja, Unkraut und Lumpen, die der Wind mit sich führte.
Das Bündel prallte gegen seine Beine. Er sah zu, wie es vorbeitrieb und mit der Wand des Hauses kollidierte. Dann schloß er langsam wieder die Tür.
»Was war es?« fragte May.
»Nur der Wind«, erwiderte Ralf Surle.
Marktmonopol
(CAPTIVE MARKET)
Gegen elf Uhr am Samstagmorgen war Mrs. Edna Berthelson bereit, ihre kleine Reise anzutreten. Obgleich sie sich jede Woche wiederholte und vier Stunden von ihrer kostbaren Geschäftszeit beanspruchte, machte sie die einträgliche Reise allein und reservierte ihre gesamte Entdeckung für sich selbst.
Weil es das war, was es war. Ein Fund, ein unglaublicher Glücksfall. Es gab nichts, was dem ähnelte, und sie war seit dreiundfünfzig Jahren im Geschäft. Mehr noch, wenn man die Jahre im Laden ihres Vaters mitzählte – aber die zählten nicht wirklich. Die waren zum Sammeln von Erfahrungen gewesen (was ihr Vater ihr klar gemacht hatte) – eine Bezahlung war nicht erfolgt. Aber sie hatten ihr Geschäftssinn vermittelt. Das Gefühl, wie man einen kleinen Laden auf dem Lande führte, Bleistifte abstaubte und Fliegenfänger auspackte und Bohnen und Speck servierte und die Katze vom Biertisch jagte, wo sie am liebsten schlief.
Nun war der Laden alt, und sie war es ebenfalls. Der große, massige Mann mit den dunklen Augenbrauen, der ihr Vater gewesen war, starb schon vor langer Zeit. Ihre eigenen Kinder und Enkel
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