Eine Handvoll Worte
Stellung bei der Arbeit lässt das nicht zu. Sie durchquert das Büro und ist sich der Blicke bewusst, davon überzeugt, dass alle ihr die Schande ansehen, das sehen, was Jessica Armour erblickte, als wäre sie ein offenes Buch.
»Alles klar, Ellie? Du bist furchtbar blass.« Rupert schaut hinter seinem Bildschirm hervor. Jemand hat einen Aufkleber »einäschern« auf die Rückseite geklebt.
»Kopfschmerzen.« Die Stimme bleibt ihr im Hals stecken.
»Terri hat Tabletten – sie hat Pillen für alles, die Kleine«, sinniert er und verschwindet wieder hinter seinem Monitor.
Sie setzt sich an ihren Schreibtisch und schaltet ihren Computer ein, überprüft die E-Mails. Da ist sie.
Habe Handy verloren. Hole neues um die Mittagszeit. Werde dir neue Nummer mailen. J x
Sie schaut nach der Zeit. Die E-Mail kam an, als sie Jennifer Stirling interviewte. Sie schließt die Augen und hat wieder das Bild vor sich, das sie in der letzten Stunde verfolgt hat: Jessica Armours zusammengebissene Zähne, die furchterregenden Blicke, die Art, wie ihre Haare sich bewegten, während sie sprach, als wären sie von ihrer Wut, ihrer Verletzung, elektrisch geladen. Ein winziger Teil von ihr hatte erkannt, dass ihr das Aussehen dieser Frau unter anderen Umständen gefallen hätte, dass sie vielleicht gern ihre Freundin gewesen wäre. Als sie die Augen wieder aufschlägt, will sie weder Johns Worte sehen, noch die Version ihrer selbst, die darin widergespiegelt wird. Ihr ist, als wäre sie aus einem besonders lebhaften Traum erwacht, der ein Jahr lang gedauert hat. Sie kennt das Ausmaß ihres Fehlers. Sie löscht seine Nachricht.
»Hier.« Rupert stellt eine Tasse Tee auf ihren Schreibtisch. »Dann geht es dir vielleicht besser.«
Rupert macht nie jemandem Tee. Die anderen Feuilletonisten haben in der Vergangenheit Wetten abgeschlossen, wie lange er wohl braucht, um zur Kantine zu gehen, und er ist immer ein Geheimtipp gewesen. Sie weiß nicht, ob sie gerührt sein soll über diesen seltenen Akt des Mitgefühls oder ob sie Angst davor hat, warum er meint, sie brauche es.
»Danke«, sagt sie und nimmt den Becher.
Als er sich hinsetzt, entdeckt sie einen vertrauten Namen auf einer anderen E-Mail: Phillip O’Hare. Ihr bleibt das Herz stehen, die Demütigungen der vergangenen Stunde sind vorübergehend vergessen. Sie klickt die Mail an und sieht, dass sie von dem Phillip O’Hare ist, der für die Times arbeitet.
Hi – Ein bisschen verwirrt durch Ihre Nachricht. Können Sie mich anrufen?
Sie wischt sich über die Augen. Arbeit, sagt sie sich, ist die Antwort auf alles. Arbeit ist jetzt das Einzige. Sie wird herausfinden, was Jennifers Liebhaber zugestoßen ist, und Jennifer wird ihr verzeihen, was sie vorhat. Sie muss einfach.
Sie ruft unter der Durchwahlnummer an, die am Ende der Mail steht. Ein Mann meldet sich nach dem zweiten Rufzeichen. Sie vernimmt das vertraute Brummen einer Zeitungsredaktion im Hintergrund. »Hi«, sagt sie mit vorsichtiger Stimme. »Ellie Haworth hier. Haben Sie mir eine Mail geschickt?«
»Ah, ja. Ellie Haworth. Moment bitte.« Er hat die Stimme eines Mannes über vierzig. Er klingt ein wenig wie John. Sie blendet diesen Gedanken aus, während sie hört, wie eine Hand über den Hörer gelegt wird, seine gedämpfte Stimme, dann ist er wieder da. »Verzeihung. Ja. Termine. Hören Sie, danke, dass Sie zurückgerufen haben … ich wollte nur etwas überprüfen. Wo arbeiten Sie doch gleich? Bei der Nation? «
»Ja.« Ihr Mund ist trocken geworden. Sie fängt an zu brabbeln. »Aber ich möchte Ihnen versichern, dass sein Name nicht unbedingt in meinem Artikel verwendet wird. Ich möchte einfach nur herausfinden, was mit ihm passiert ist, für eine Freundin von ihm, die …«
»Die Nation? «
»Ja.«
Kurzes Schweigen tritt ein.
»Und Sie sagen, Sie wollen etwas über meinen Vater herausfinden?«
»Ja.« Ihre Stimme versiegt.
»Und Sie sind Journalistin?«
»Tut mir leid«, erwidert sie. »Ich verstehe nicht, worauf Sie hinaus wollen. Ja, ich schreibe Artikel. Wie Sie. Soll das heißen, dass es Ihnen unangenehm ist, Informationen an die Konkurrenz weiterzugeben? Ich habe Ihnen gesagt, dass …«
»Mein Vater ist Anthony O’Hare.«
»Ja. Das ist der, den ich …«
Der Mann am anderen Ende der Leitung lacht. »Sie sind nicht zufällig mit Enthüllungen befasst?«
»Nein.«
Er braucht eine Weile, um sich zu fangen. »Miss Haworth, mein Vater arbeitet bei der Nation. Bei Ihrer Zeitung. Seit über vierzig
Weitere Kostenlose Bücher