Eine Handvoll Worte
Ellie durch das Tor. Sie schlagen den Pfad ein, der sie auf den Hügel führen wird. »Aber für Menschen wie uns gibt es keine Absolution, Ellie. Sie werden durchaus feststellen, dass Schuldgefühle in Ihrer Zukunft eine viel größere Rolle spielen, als Ihnen lieb ist. Es heißt nicht ohne Grund, dass Leidenschaft brennt, und wenn es zu Affären kommt, sind es nicht nur die Protagonisten, die verletzt werden. Ich für meinen Teil fühle mich noch immer schuldig für den Schmerz, den ich Laurence zugefügt habe … Damals habe ich es vor mir selbst gerechtfertigt, aber ich sehe ein, dass das, was passiert ist … uns alle verletzt hat. Aber … in Bezug auf Anthony hatte ich immer die größten Schuldgefühle.«
»Sie wollten mir den Rest der Geschichte erzählen.«
Jennifers Lächeln verblasst. »Na ja, Ellie, es ist kein glückliches Ende.« Sie berichtet von einer erfolglosen Reise nach Afrika, einer längeren Suche, auffälligem Schweigen des Mannes, der zuvor nie aufhörte, ihr seine Gefühle zu schildern, und schließlich den Beginn eines neuen Lebens in London, allein.
»Und das ist alles?«
»In Kürze.«
»Und die ganze Zeit hatten Sie nie … hat es nie einen anderen gegeben?«
Jennifer Stirling lächelt wieder. »Nicht ganz. Ich bin auch nur ein Mensch. Aber ich kann sagen, dass ich mich nie emotional auf jemanden eingelassen habe. Nach Boot wollte ich eigentlich nie jemandem nahestehen. Für mich hat es nur ihn gegeben. Das war mir ziemlich klar. Im Übrigen hatte ich ja Esmé.« Sie strahlt. »Ein Kind ist wirklich ein wunderbarer Trost.«
Sie sind oben angekommen. Der gesamte Norden Londons erstreckt sich zu ihren Füßen. Sie atmen tief ein, lassen den Blick über die Silhouette in der Ferne schweifen, hören den Verkehr, die schwächer werdenden Rufe von Hundeausführern und verirrten Kindern.
»Darf ich fragen, warum Sie das Postfach so lange behalten haben?«
Jennifer lehnt sich an die schmiedeeiserne Bank und überlegt, bevor sie antwortet. »Vermutlich erscheint Ihnen das ziemlich albern, aber wir haben uns zwei Mal verpasst, verstehen Sie, beide Male um wenige Stunden. Ich habe es als meine Pflicht angesehen, jede Chance offen zu lassen. Dieses Postfach zu schließen wäre das Eingeständnis gewesen, dass es endgültig vorbei war.«
Sie zuckt kleinlaut mit den Schultern. »Jedes Jahr habe ich mir gesagt, es sei an der Zeit, aufzuhören. Die Jahre gingen ins Land, ohne dass ich gemerkt habe, wie lange es war. Aber irgendwie habe ich es nicht fertiggebracht. Wahrscheinlich habe ich mir eingeredet, dass es eine harmlose Schwäche war.«
»Das war also tatsächlich sein letzter Brief?« Ellie deutet vage in die Richtung von St. John’s Wood. »Haben Sie wirklich nie wieder von ihm gehört? Wie haben Sie es bloß ertragen, nicht zu wissen, was mit ihm passiert ist?«
»Für mich gab es zwei Möglichkeiten. Entweder war er im Kongo umgekommen, ein Gedanke, der damals zu unerträglich war. Oder ich hatte ihn zutiefst verletzt, wie ich vermute. Er hat geglaubt, dass ich meinen Mann niemals verlassen würde, vielleicht sogar, dass ich sorglos mit seinen Gefühlen umging, und ich glaube, es ist ihn teuer zu stehen gekommen, sich mir ein zweites Mal zu nähern. Leider habe ich erst erkannt, wie teuer, als es zu spät war.«
»Haben Sie nie versucht, ihn ausfindig zu machen? Einen Privatdetektiv einzuschalten? Zeitungsannoncen aufzugeben?«
»Oh, das würde ich nicht machen. Er hätte gewusst, wo ich bin. Ich hatte meine Gefühle offen dargelegt. Und ich musste seine respektieren.« Sie betrachtet Ellie ernst. »Wissen Sie, man kann nicht erzwingen, wiedergeliebt zu werden. Ganz gleich, wie sehr man es sich wünscht. Manchmal ist die zeitliche Abstimmung einfach … durch.«
Der Wind hier oben ist frisch: Er zwängt sich in die Lücke zwischen Kragen und Hals, nutzt jede Andeutung von bloßer Haut aus. Ellie steckt die Hände in die Taschen. »Was, glauben Sie, wäre mit ihnen geschehen, wenn er Sie wiedergefunden hätte?«
Zum ersten Mal füllen sich Jennifer Stirlings Augen mit Tränen. Sie starrt auf die Silhouette und schüttelt ganz leicht den Kopf. »Die Jungen haben nicht das alleinige Recht auf gebrochene Herzen, wissen Sie.« Sie macht sich langsam auf den Rückweg, und ihr Gesicht ist nicht mehr zu sehen. Das Schweigen, bevor sie wieder spricht, geht Ellie sehr zu Herzen. »Ich habe vor langer Zeit gelernt, Ellie, dass ›was wäre, wenn‹ ein gefährliches Spiel ist.«
Triff
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