Eine hinreißend widerspenstige Lady
„Buchstabenzählen. Zeichenvergleichen. Denkübungen. Um mich abzulenken.“
„Funktioniert es?“, wollte er wissen.
Denk an Miles, sagte sie sich. Denk an alles, was er für dich getan hat. Soll er für deine Schwäche und deine Torheit bezahlen müssen? Sag: „Ja, es funktioniert.“
„Nein“, sagte sie. „Tut es nicht.“
„Bei mir auch nicht“, sagte er. „Es war dumm von mir, hereinzukommen und die Tür zu schließen. Alles hier ist von dir. Der göttliche Weihrauchgeruch. Der Duft deiner Haut. Der Geruch von Büchern, Pergament und Tinte.“ Er strich über die Handbreit Diwan zwischen ihnen. „Hier schläfst du. Ich schlafe Welten entfernt - so fühlt es sich an. Du fehlst mir.“
Sie hockte sich auf die Knie und legte ihm ihre Finger an die Lippen, damit er keine weiteren so wunderbaren Worte sagte, denn sonst finge sie noch an, Dinge zu glauben, die nicht wahr sein konnten. Und dann, danach, würde ihr Schmerz nur noch größer sein. Männer sagten viel, wenn sie etwas wollten. Selbst Virgil hatte ganz andere Töne angeschlagen, wenn ihn die Lebenslust überkam.
An Deck sangen die Matrosen von der Liebe. Eine Stimme erhob sich in sehnsüchtigem Klagen über die anderen:
Die Liebe plagt mein Herz Der Schlaf schließt meine Augen nicht Diese Qual peinigt mein Gemächt Ich weine endlose Tränen.
Ach, wären wir doch zusammen.
Dann müsste ich nicht seufzen, müsste nicht weinen.
Er hob seine Hand, strich über ihre Finger, die sie noch an seine Lippen gelegt hatte, streichelte über ihren Handrücken und umfasste ihr Handgelenk. Sie ließ ihre Hand sinken und verschränkte ihre Finger mit den seinen, er nahm ihrer beider Hände und drückte sie sich an sein Herz.
„Du fehlst mir“, sagte er noch mal, diesmal kaum mehr als ein leises Murmeln.
Sie hatte ihn auch vermisst, hatte die Freiheiten vermisst, die sie sich in der Grabhöhle von Assyut hatten nehmen können: einander zu berühren, sich zu küssen, köstliche Freude zu finden und zu bereiten und zu sein, was immer sie waren, wenn sie einander in den Armen hielten.
Leicht berührte sie seine Lippen mit den ihren, und er erwiderte die Liebkosung mit einer Zärtlichkeit, die sie nach mehr verlangen ließ. Sie entzog ihm ihre Finger, damit sie sein Gesicht mit beiden Händen umfassen konnte, sein liebes, schönes Gesicht, und blickte ihm in die Augen, diese dunklen, lachenden Augen.
Selbst jetzt noch sah sie den Schalk dort lauern, ein verschmitztes Funkeln, das im Dunkel der Leidenschaft aufblitzte. Das ließ sie lächeln, und sie streifte seine Lippen mit den ihren, schenkte ihm ihr Lächeln. „Du fehlst mir“, flüsterte sie. „So sehr.“
Sie sollte von ihm lassen, doch es war zu spät. Schon hatte sie den Duft seiner Haut gerochen, ihn auf ihren Lippen geschmeckt, seine warmen, starken Hände gespürt. Sie senkte den Mund abermals auf den seinen, und alle Sehnsucht, alles Verlangen, die sie zu unterdrücken versucht hatte, brach aus ihr hervor in diesem Kuss. Ihre Hände glitten hinab auf seine Schultern, wenngleich sie wusste, dass sie es besser nicht tun sollte. Nachher würde es nur umso schwerer sein.
Aber nachher war noch lange hin. Jetzt jedoch war er ihre ganze Welt, er und der innige, zärtliche Kuss, der gleich schon wild und leidenschaftlich wurde. Als sie spürte, wie er ihr den Arm um die Taille legte und sie an sich zog, ließ sie sich auf seinen Schoß sinken, raffte ihre Röcke hoch und schlang ihre Beine um seine Hüften. Sie war schamlos, aber bei ihm durfte sie es sein. Sie konnte tun, was immer ihr gefiel. Keine Regeln. Nur lieben und sich lieben lassen. Kurz nur unterbrach sie den Kuss, um ihm das Hemd über den Kopf zu ziehen, berührte seine Schultern, seinen Rücken, seine Brust. Er fühlte sich glatt und hart an wie Marmor und war doch warm und voller Leben. Sie kannte niemanden, der so herrlich lebendig war wie er.
Draußen an Deck sangen die Männer:
Mein Herz steht in lodernden Flammen.
Wer brennt so wie ich?
Gibt es keine Heilung für mein Leiden?
Er umfasste ihren Nacken und vergrub seine langen Finger in ihrem Haar, hielt sie etwas von sich und sah sie an. Wortlos. In seinen Augen glitzerte Leidenschaft, ein durchtriebenes Funkeln und die Andeutung eines Lächelns. Dann spürte sie seine Hände auf ihrem Rücken, spürte, wie er die Verschlüsse ihres Kleides aufhakte und derweil nicht einen Moment den Blick von ihrem Gesicht nahm. Sie musste an das erste Mal denken, da er versucht hatte,
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