Eine hinreißend widerspenstige Lady
ihrer Schimpftiraden im Zaum gehalten, aber dennoch hatte er die ganze Nacht wach gelegen und nach jedem leisen Anzeichen dafür gelauscht, dass sie in Gefahr sein könne.
Eine verwirrende Erinnerung, die er rasch verbannte. Sie hatte es faustdick hinter den Ohren - das war ihm von Anfang an klar gewesen. Keine anschmiegsame, sondern eine ziemlich anstrengende Frau. Sie verlangte sogar von ihm, dass er hin und wieder seinen Verstand gebrauchte.
Was er nun tat, um auf andere Gedanken zu kommen.
„Man will Ihnen Steine in den Weg legen und Sie in die Irre führen“, stellte er fest. „Woraus wir schließen können, dass Ihr Bruder unversehrt und wahrscheinlich nicht weit von hier ist.“
Sie nickte, doch ihr grüner Blick schweifte abwesend umher.
Während er ihr beim Denken zusah, aß Rupert.
Nach einigen Minuten angestrengter Überlegung meinte sie: „Alles deutet auf eine kluge, mächtige und sehr gefährliche Person hin. Irgendwer in Kairo müsste doch wissen, wer am ehesten als Verdächtiger infrage käme ...Vielleicht Lord Noxley ...“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, wir müssen mit jemandem reden, der von hier stammt - jemand, der über alles und jeden Bescheid weiß.“
Sie schaute auf, sah ihn an, dann an ihm vorbei zu den auf dem Wandregal aufgereihten Holzfiguren. „Aber natürlich: der Händler!“
Rupert drehte sich nach den Figuren um.
„Wir haben die meisten davon bei demselben Mann erstanden, der Miles den Papyrus verkauft hat“, erklärte sie. „Vanni Anaz - ihn hätten wir zuerst befragen sollen. Wer hat ihm die Geschichte von dem Pharaonengrab erzählt? Wem wiederum hat er die Geschichte weitererzählt? Wer hat Interesse an dem Papyrus bekundet?“
„Hervorragende Idee.“ Rupert trank seinen Kaffee aus. „Ganz vom anfangen. Und das sollten wir so rasch wie möglich tun - bevor unser unbekannter Schurke auch unseren nächsten Schritt erahnt.“
„Jetzt?“, fragte sie, fuhr sich mit der Hand an den Kopf und sah stirnrunzelnd an sich hinab.
Lächelnd hob Rupert den Turban auf, den sie zu Boden geworfen hatte. „Ich helfe Ihnen“, meinte er.
6. KAPITEL
Daphnes Denkvermögen war etwas beeinträchtigt: Sie hatte die ganze Nacht wach gelegen und gelauscht, was in der Wache vor sich ging, und zutiefst bereut, den Polizisten gegenüber die Beherrschung verloren zu haben. Wenn man Mr. Carsington nun schlug oder folterte, wäre es ihre Schuld.
Ihre unbändige, unweibliche Wut! Fünf Jahre von Virgils sanften Vorwürfen hatten sie nicht zähmen können. Im Gegenteil -seine Worte hatten sie noch wütender werden lassen.
Mr. Carsington schien sich nicht daran zu stören. Spannend hatte er es genannt - obwohl man sie beide ihres Verhaltens wegen hätte hinrichten können.
Während er sich nun mit ihrem Haar und dem Turban abmühte, sah sie ihn an.
Er war ... sehr lebendig.
Allzu sehr war sie sich bewusst, wie seine Brust sich leise hob und senkte, wie sein Atem ihr Gesicht streifte und sein dunkler Blick auf ihr ruhte. Und seine Hände ... seine geschickten Hände, die sie während des langen Weges durch die Pyramide so sicher gehalten hatten. Und die doch so gefährlich waren, ließen sie sie schließlich nach mehr verlangen, ließen sie ungeduldig ... nach seiner Berührung verlangen.
Das Herz fing ihr zu rasen an.
Ärgerlich stieß sie seine Hände beiseite. „Lassen Sie das“, sagte sie. „Ich werde ein Tuch tragen.“
Als sie aus dem Zimmer eilte, rannte sie geradewegs in Lina hinein. Daphne bedachte sie mit finsterem Blick und lief weiter. Kaum außer Hörweite, fragte sie: „Hast du an der Tür gelauscht?“
„Ja“, erwiderte Lina, ohne mit der Wimper zu zucken. „Aber er hat so leise gesprochen, dass ich nur ein tiefes Brummen hören konnte. Hat er Sie verführt?“
Daphne eilte weiter. „Ganz gewiss nicht.“
Lina folgte ihr. „Aber Ihr Haar hängt ganz wirr herab.“
„Ich war wütend und habe mich meines Turbans entledigt“, erklärte Daphne. „Ich muss mich umziehen - ich will auf den suq.“
„Jetzt?“, fragte Lina verwundert.
In ihrem Schlafzimmer zog Daphne eine pluderige Haremshose und ein flatteriges Hemd aus dem Schrank. Sie riss sich die Kleider, die sie seit gestern früh trug, vom Leib und warf sie zu Boden. „Verbrenne sie“, wies sie ihre Dienerin an.
„Ich verstehe nicht“, meinte Lina, „warum Sie nicht mich auf den Basar schicken und sich derweil lieber von ihm ausziehen lassen. Was bringt es denn, eine große Dame zu sein,
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