Eine hinreißend widerspenstige Lady
nichts erledigt bekam.
Es sei denn, man war ein Dschinn.
„In den Wandschränken sind Ihre Bücher und Aufzeichnungen verstaut“, sagte er. „Ihre Kleider und Dinge des täglichen Gebrauchs verwahrt Lina in ihrer Kabine nebenan. Weitere Kisten und Truhen haben wir in der übernächsten Kabine untergebracht. Ich wusste nicht, dass Sie so viel mitnehmen würden. Sollte Ihr Fundus an Verkleidungen so unerschöpflich sein?“
„Miles und ich planten, nach Theben zu reisen“, erwiderte sie. „Wir hatten schon alles gepackt: Arzneien, Decken, Matten, Moskitonetze, Schirme, Laterne, Besen und Kerzen - was man eben so braucht. Die Truhen enthalten vor allem seine Habseligkeiten.“
Vorsichtig drehte sie sich auf dem schmalen Gang um und warf einen Blick in die vollgestopfte Kabine ihrer Dienerin. Schlafen würde Lina bei ihr im Zimmer, doch tagsüber brauchte Daphne den Raum für sich allein. Wenn sie nicht ihre Ruhe hatte, fühlte sie sich wie ein in einem Käfig gefangenes Tier. Zumal es den beiden Frauen nicht möglich war, den ganzen Tag an Deck zuzubringen. Die landesüblichen Sitten und die Mittagshitze erlaubten das nicht.
Ich werde Tag und Nacht arbeiten, sagte sich Daphne. Hieroglyphen verlangten nach ungeteilter Aufmerksamkeit: Die Beschäftigung damit verhinderte so störende Gefühle und Bedürfnisse. Sie würde sich nicht um Miles grämen. Sie würde sich nicht sorgen, wegen jeder Stunde, die verrann. Und sie würde Abstand zu Mr. Carsington gewinnen.
Sie wünschte, sie könnte bereits jetzt seine einnehmenden Eigenschaften ignorieren, aber dazu hätte es übermenschlicher Fähigkeiten bedurft.
An sich war er angezogen, wie es sich gehörte. Doch sein Krawattentuch hatte er gelöst, Rock und Weste aufgeknöpft. Ihr Blick schweifte beharrlich zu seinem Hals und der gebräunten Haut darunter. Sie erinnerte sich daran, wie sie seinen Körper auf der Leiter in der Pyramide warm und schwer an ihrem Rücken gefühlt hatte.
Es war ihr unmöglich, ihre sinnlichen Empfindungen für ihn, der nur einen Schritt von ihr entfernt stand, zu unterdrücken. Sie musste all ihre Konzentration und all ihren Willen aufbringen, um an sich zu halten. Ein einziger Schritt nur, und sie würde ihn berühren.
Geschwind schlüpfte sie an ihm vorbei, um die Kabine anzusehen, die als Lagerraum diente. „Wir wollten eine Weile in Theben bleiben, um an einer Studie über die Grabstätten zu arbeiten“, fuhr sie hastig fort. „In den Truhen sind Miles’ Sextant und künstlicher Horizont, Chronometer, große und kleine Teleskope, Siphonbarometer, Thermometer und Maßband. Und Kleider. Die Entführer haben ihm ja keine Zeit gelassen, irgendetwas einzupacken.“ Bei den letzten Worten bebte ihre Stimme leicht.
„Wir werden ihn finden“, sagte Mr. Carsington zuversichtlich.
„Ja, wir müssen ihn finden.“ Hoffentlich lebendig, fügte sie im Stillen hinzu.
„Duval hat nur ein paar Tage Vorsprung“, sagte er. „Und vergessen Sie nicht, wie wertvoll Ihr Bruder für ihn ist.“
„Bis seine Entführer die Wahrheit herausfinden“, erwiderte sie.
„Er ist ein Gelehrter“, betonte Mr. Carsington. „Ihm dürfte etwas einfallen, sie eine Weile hinzuhalten und in dem Glauben zu wiegen, nur er könne sie zu dem Schatz führen. An Stelle der Entführer würde ich ihn bis nach Theben mitnehmen und dort nach dem Grab suchen lassen. Er kann sie mit gelehrten Exkursen in die Irre führen. Oder sie einfach irgendwo graben lassen -solche Ausgrabungen ziehen sich oft über Wochen hin. Die Zeit arbeitet für uns.“
Seine Worte munterten sie etwas auf. Miles war zwar nicht der Gelehrte, für den man ihn überall hielt, aber dumm war er deswegen noch lange nicht.
„Ja, ich weiß“, meinte sie. „Oder sollte es wissen. Es ist nur ...“ Sie dachte daran, wer sie noch vor einer Woche gewesen war -eine Frau, deren Leben sich ausschließlich in der Welt des Verstandes abgespielt hatte und deren diverse Untugenden von geistiger Disziplin sicher gebannt wurden.
Sie sah auf und begegnete dem Blick seiner dunklen Augen, die sie, die so viele Sprachen zu lesen verstand, dennoch kaum entziffern konnte und sich so leicht darin verlor. „Im Gegensatz zu Ihnen bin ich ein so aufregendes Leben nicht gewohnt“, sagte sie. „Mein Verstand ist auf einen langsamen, gleichmäßigen Rhythmus eingestellt. In gewisser Weise bin ich wie jene Frauen, die man in Harems gesperrt hat - schlecht dafür gerüstet, in der richtigen Welt zu bestehen. Ich
Weitere Kostenlose Bücher