Eine hinreißende Schwindlerin
„Beides, könnte ich mir denken. Ich habe Schwierigkeiten damit, mir vorzustellen, dass Sie sich irgendwelchen Forderungen beugen. Wenn Sie gern Gouvernante geworden wären, hätten Sie auch einen Weg gefunden. Aber Sie küssen wie eine Verführerin.“
Glut schoss ihr in die Wangen. Sie hatte geküsst wie eine Närrin. Und er, dieser kaltherzige Teufel, wusste das.
Sie schnappte nach Luft und zerrte an ihrer Hand. Wieder weigerte er sich, sie loszulassen, und sein Griff war eisern wie eine Handschelle. „Im anderen Fall“, fuhr er vernünftig fort, als spürte er ihren hämmernde Puls nicht unter seinen Fingern, „hätte es sicher ansprechendere Möglichkeiten gegeben als ausgerechnet Betrug. Was noch entscheidender ist – da Sie überhaupt diesen Beruf in Betracht gezogen haben, müssen Sie schon in sehr jungen Jahren die Erfahrung gemacht haben, dass alle Menschen lügen. Das ist eine harte Lektion für ein behütetes Kind. Wie alt waren Sie?“
„Neun“, entfuhr es ihr unbedacht. Zum ersten Mal hatte sie seinen Verdacht laut bestätigt und nun wusste er Bescheid. Er wusste alles. Jenny schloss die Augen, weil sie seinen Triumph nicht sehen wollte.
Er umfasste ihr Handgelenk noch fester und strich ihr mit der anderen Hand leicht über das Kinn. Widerstrebend öffnete sie die Augen wieder. Sein Blick war erneut auf ihren Mund gerichtet. Eigentlich hätte er vor Freude jubeln müssen, aber sie sah keine Genugtuung auf seinen Zügen.
„Das ist sehr früh“, meinte er schließlich und wandte den Blick ab. „Ich war einundzwanzig. So alt wie Ned heute.“
Sie entdeckte keine Spur von Selbstmitleid in seiner Stimme. Er klang so ungerührt wie zuvor, als hielte er einen Vortrag in einem Hörsaal. Und doch deutete der angespannte Zug um seinen Mund darauf hin, dass die Erfahrung für ihn schwerwiegender gewesen sein musste. Jenny empfand das plötzliche Bedürfnis, die Finger zu küssen, die ihr Handgelenk umschlossen hielten.
„Wahrscheinlich sollte ich Ihnen nicht nur etwas über Ihre Vergangenheit, sondern auch über Ihre Zukunft sagen.“ Er beugte sich wieder über ihre Handfläche. „Sie werden mir Ihren richtigen Namen nennen, denn der lautet nicht Esmeralda, das steht fest.“
„Nein? Warum nicht?“
„Eine verarmte englische Familie würde ihrer Tochter niemals einen so ausgefallenen Namen geben. Dann all dieses Sandelholz und die lächerliche Verkleidung – dazu passt ‚Esmeralda‘ verdächtig gut. Das ist nur ein weiterer Bestandteil Ihrer Betrügereien. Nennen Sie mir Ihren Namen.“
Jenny presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
„Margaret“, riet er. „Abgekürzt zu Meg.“
„Esmeralda“, beharrte Jenny.
Da war wieder dieses spöttische Zucken um seine Mundwinkel. „Es ist zwecklos, Meg. Irgendwann werden Sie mir Ihren Namen verraten.“
„Wenn Esmeralda nicht mein richtiger Name wäre, warum sollte ich es dann zugeben?“
Er strich mit seinem Daumen über ihren. „Weil ich Ihnen sonst nicht gestatten dürfte, mich Gareth zu nennen.“
Wie nüchtern er das sagte! „Warum …“ Jenny verstummte und straffte die Schultern. „Mylord, warum sollte ich Sie mit dem Vornamen anreden wollen?“
„Ich kann in die Zukunft sehen, hier …“, er zog mit dem Finger eine Linie über ihre Handfläche, „… und hier …“, er berührte ihre Wange, „… und hier.“ Sein Daumen streifte ihre Lippen, und Jenny öffnete sie unwillkürlich, aber seine Miene blieb unverändert sachlich. „Ich werde nicht irgendein bedauernswertes Mädchen heiraten, das Sie für mich aussuchen“, teilte er ihr sanft mit. „Ihre Voraussage gegen meine. Und ich sehe voraus, dass Sie mich Gareth nennen werden. Einmal in meinem Bett, werden Sie keinen anderen Namen mehr auf Ihren Lippen führen, das versichere ich Ihnen hiermit feierlich.“
„Wenn Sie wirklich beweisen wollen, dass Sie kein Automat sind, sollten Sie ernsthaft in Betracht ziehen, Ihren Tonfall zu ändern“, gab Jenny zurück. „Sie hören sich an, als verhandelten Sie über den Preis für einen Sack Kartoffeln, bei allem was …“
Er brachte sie mit einem raschen Kuss zum Schweigen. Und sie, der Himmel mochte ihr gnädig sein, ließ es zu.
„Sehen Sie?“, murmelte er. „Genauso wird es kommen.“
„Also gut, wir haben nun geklärt, dass auch ich nicht leidenschaftslos bin. Ich möchte nur wissen – was werden Sie tun?“
Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Seine goldbraunen Augen
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