Eine hinreißende Schwindlerin
schienen auf einmal zu glühen. Es war die zweite Gefühlsregung, die sie an diesem Abend an ihm wahrnahm. Aber als er abrupt den Blick abwandte, hätte sie fast glauben können, sich das Ganze nur eingebildet zu haben.
Unvermittelt ließ er ihre Hand los und schüttelte den Kopf. Jenny wurde es erst jetzt bewusst, dass sie die ganze Zeit im kalten Flur gestanden hatten. Sie hatte die Kälte nicht einmal gespürt.
Doch sie spürte sie jetzt.
Er legte die Hand auf die Türklinke. „Sie wollen wissen, was ich tue, wenn ich Sie verführe? Ich werde gewinnen.“ Er drehte sich um und öffnete die Tür. Der Regen hatte aufgehört, und ein feiner Nebel waberte durch die Straßen, der seine Schritte verschluckte, als er darin verschwand.
Jenny schloss die Tür und lehnte sich matt mit dem Rücken dagegen. Sie schlug die Hände vor das Gesicht. Aber ganz gleich, wie fest sie auch die Augen verschloss, sie konnte das Gefühl seiner Lippen auf ihren und den Geschmack seines Kusses nicht aus ihrem Gedächtnis verbannen.
Was für eine Katastrophe. Er hatte längst gewonnen.
Er hatte alles gesehen, von den strengen Regeln der Schule, die sie besucht hatte, bis zu der magischen Anziehungskraft, die er fatalerweise auf sie ausübte. Sie hatte ihre Empfindungen nicht in Worte gefasst, aber mit nur einem Kuss hatte er ihr das Geständnis entlockt, eine Betrügerin zu sein.
In nur wenigen Stunden hatte er ihre verborgensten Geheimnisse enthüllt; darunter auch solche, wie es schien, die sie sich selbst nicht hatte eingestehen wollen. Die Sehnsucht danach, berührt zu werden. Begehrt zu werden.
Nur ein Kuss und sie hatte Lord Blakelys abfällige Meinung über seinen Cousin voll und ganz bestätigt. Denn Lord Blakely hatte nicht nur prophezeit, dass er Jenny verführen würde, sondern auch, dass er Ned beweisen würde, dass dieser sie zu Unrecht so beherzt verteidigte.
Früher einmal war ihr ihr Beruf wie ein Spiel vorgekommen. Es hatte keine Rolle gespielt, welche Lügen sie ihren Kunden auftischte. Immerhin glaubten ihr nur die wenigsten wirklich. Die meisten sahen in ihr nichts weiter als eine Zerstreuung, ein Unterhaltungsprogramm, das man einschob zwischen einem Boxkampf und einem Besuch in der Oper.
Aber mit Ned war es anders gewesen. Was hatte es schon geschadet, ihm zu prophezeien, dass er einmal ein starker und selbstbewusster Mann werden würde, vertrauenswürdig und tüchtig?
Wenn Ned erkannte, dass sie gelogen hatte, würde Lord Blakely ihn nie mehr vergessen lassen, was für ein Narr er gewesen war. Er würde das ganz fest in seinem Gehirn verankern, gleich neben seinen Theorien über das Verhalten von Gänsen oder was auch immer Lord Blakley studieren mochte. Und jedes Mal, wenn Ned auch nur einen Ansatz von Unabhängigkeit zeigte, würde sein Cousin ihm diese Geschichte wieder unter die Nase reiben.
Trotz seines Geredes über gegenseitiges Begehren hätte Lord Blakely derjenige sein müssen, der sich zurückhielt. Natürlich wollte er Jenny in sein Bett locken. Schließlich war er ein Mann und Männer dachten nun einmal so. Und der Kunstfertigkeit nach zu urteilen, die er mit Lippen und Zunge an den Tag gelegt hatte, konnte es ihm zweifelsohne auch gelingen, sie immer wieder seinen Namen rufen zu lassen, falls sie einmal dort landen sollte.
Falls? Es war eigentlich nur noch eine Frage des Zeitpunkts.
Er hatte sie im Arm gehalten. Er hatte sie geküsst. Er hatte ihr prophezeit, sie zu verführen, und schändlicherweise sehnte sie sich sogar danach. Nur eins hatte Lord Blakely nicht getan – nicht ein einziges Mal in all den Stunden, in denen sie ihn beobachtet hatte.
Er hatte nicht gelächelt.
Jenny atmete tief durch. Insgeheim äußerte sie eine weitere Prophezeiung. Ehe er sie verführte, würde sie Lord Blakely die Augen öffnen. Er sollte begreifen, dass Ned mehr brauchte als nur Intellekt und Schmähungen. Er sollte Ned endlich respektieren.
Verdammt, er sollte sie respektieren.
Jenny hatte bereits verloren. Doch das bedeutete noch lange nicht, dass der Marquess zwangsläufig gewinnen musste.
Daraus kann man nicht als Sieger hervorgehen, dachte Gareth. Hilflos betrachtete er das Tablett, das seine Schwester, Laura Edmonton, in Erwartung seines Besuchs bereitgestellt hatte. Buttergebäck. Gurkensandwiches mit abgeschnittener Kruste. Früher einmal, vor vielen Jahren, hatte er beides gern gemocht. Jetzt lagen sie streng geordnet nebeneinander, stumme Zeugen eines fortdauernden Krieges.
Seine
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