Eine hinreißende Schwindlerin
Gedanken ihren Namen, als sein Cousin mit einem wortlosen Nicken aus der Kutsche stieg. Und nachdem er seinen Kutscher allein nach Hause in die warmen Stallungen geschickt hatte, flüsterte er ihren Namen im Takt zu seinen Schritten auf dem Pflaster.
Jenny. Jenny.
In diesen dunklen Stunden nach Mitternacht war es still in den Straßen. Der orangefarbene Schein der Gaslaternen sickerte durch den dichten Nebel Londons. Als Gareth sich zum dritten Mal an diesem Abend ihrer Tür näherte, waberte der Nebel die Stufen zu ihrer Wohnung im Souterrain hinunter und dämpfte seine Schritte.
Er klopfte an.
Der Nebel schluckte auch das leise Quietschen der Türangeln. Das matte Licht der Straße fiel in den sich auftuenden Türspalt und ließ Jennys Gesicht beinahe wie eine Maske aussehen. Eine Göttin aus Bronze, eine weiß gewandete Statue vor dunklen Schatten. Gareth atmete tief die kalte Luft ein.
Jenny schluckte und sah ihm in die Augen. „Du bist zurück.“
Sein Mund fühlte sich plötzlich ganz trocken an. „Jenny.“ Seine Stimme klang rau und belegt. Zum ersten Mal hatte er ihren Namen laut ausgesprochen.
Einen Moment lang bewegte sich keiner von ihnen. Dann fasste sie nach seinem Handgelenk und zog ihn in ihre dunkle Wohnung. Auch nachdem die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, ließ sie ihn nicht los. Ganz langsam hob er die Hand zu ihrem Gesicht. Er spürte ihre Anspannung an der Art, wie sie die Kiefer aufeinandergepresst hielt. Behutsam strich er mit dem Daumen über ihren Mund.
Er hatte sich einst zum Ziel gesetzt, sie zu erobern. Das war ihm nun gelungen. Er hatte alles gewonnen. Ihr Geständnis, eine Betrügerin zu sein, Neds Kapitulation. Jenny hatte sogar Respekt vor ihm gezeigt. Eigentlich hätte das sein großer Moment sein sollen – die Vernunft hatte über das Irrationale gesiegt.
Doch unter seinen Fingern spürte er ihre traurig nach unten gebogenen Mundwinkel in der Dunkelheit. Keine Tränenspuren auf ihren Wangen, nur stumme Trauer.
Im Grunde hatte Gareth gar nicht recht behalten wollen. Er hatte sie gewollt.
„Hör nicht auf.“ Sie legte ihre Hand über seine und schmiegte ihre Wange in seine Handfläche. Ihre Finger zitterten.
Bestimmt würde Gareth am kommenden Morgen über seinen Entschluss den Kopf schütteln, aber … „Du bist zu nichts verpflichtet, auch wenn ich unseren kleinen Wettstreit gewonnen habe.“ Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, noch einmal ihre Lippen zu berühren.
Sie erstarrte unter seiner Liebkosung. „Du hast gewonnen ?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, du hast verloren. Ned hat verloren. Du hattest recht, aber das ist nicht dasselbe, wie zu gewinnen.“ Sie legte ihm die Hand auf die Brust, aber nicht um ihn von sich wegzuschieben. Stattdessen schmiegte sie sich an ihn.
Er schob seine Hand in ihr seidiges dunkles Haar. „Warum ist das wichtig, wenn keine Verpflichtung besteht?“
„Ich habe ebenfalls verloren.“
Plötzlich verstand er. Im Dunkel der Nacht konnten sie so tun, als gäbe es keine Sieger und Besiegten. „Was ist dann das hier?“
„Trost“, erwiderte sie und ihr warmer Atem streifte seine Fingerkuppen. „Trost – und Lebewohl.“
Lebewohl. Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er hatte es sich nicht eingestehen wollen, aber es gab keine andere Möglichkeit. Nicht bei einer betrügerischen Wahrsagerin, die keine Mätresse werden wollte, und dem Marquess of Blakely. In dieser Nacht sollte Lord Blakely zurückstehen. Diese Nacht gehörte nur Gareth und Jenny … und dem Abschied.
Jenny nahm seine Hand. Mit sicheren Schritten führte sie ihn trotz der Dunkelheit in das hintere Zimmer. Erst an diesem Abend hatte er Tee an dem kleinen Tisch getrunken, den er nun im Vorübergehen streifte. Erst an diesem Abend hatte er ihr Bett gesehen und sich ausgemalt, wie sie nackt darauf lag.
Ihre Berührung – das Gefühl ihrer warmen Finger, die sich um seine schlossen, die Vorstellung, wie sich ihre Fingerabdrücke in seine Haut einbrannten und sich nie mehr entfernen lassen würden – war alles, was er brauchte, um sie zu erkennen. Es war nicht so sehr ein Wort, das Jenny dadurch in ihm heraufbeschwor, sondern eine tiefe Resonanz, die seine Seele in Schwingungen versetzte. Ja. Du.
Im Laufe der Zeit hatte er ziemliche viele Bezeichnungen für diese Frau verwendet. Betrügerin. Schwindlerin. Madame Esmeralda. Lügnerin. Die stille Nacht verschluckte alle diese Worte. Sie brachten nichts in ihm zum
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