Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
du.«
»Und ist die Decke noch da?« fragte Agnes, während sie sich in den Salon führen ließ, den sie erst Minuten zuvor besichtigt hatte.
»Welche Decke?«
»Die Patchworkdecke aus Samt und Seide.«
»Ich glaube, die habe ich weggepackt. Vielleicht hole ich sie wieder heraus. Sie war doch ziemlich zerschlissen, oder?«
»Sie war schön«, sagte Agnes. »Ich habe sie jedenfalls geliebt«, setzte sie hinzu.
»Hier haben wir eine Wand eingerissen und das Zimmer erweitert«, sagte Nora mit erklärenden Gesten. »Wir – sie haben endlich den offenen Kamin in Gang bekommen, nach so vielen Jahren!«
Agnes erinnerte sich, daß das alte Haus nicht zu heizen gewesen war, und sie, Carl und Nora oft in dicken Pullovern und Wolldecken herumgesessen hatten. Meistens allerdings nur sie und Nora, Carl war häufig woanders gewesen, im Zimmer gegenüber am Schreibtisch oder in der Uni.
»Komm, du mußt die Küche sehen«, sagte Nora.
Agnes folgte ihr durch eine zweiflügelige Schwingtür.
Noras Kleidung war schlicht, weiße Bluse und schwarze Hose, aber Agnes fiel sehr wohl der schicke Schnitt der Bluse auf, die genau mit der richtigen Lässigkeit über Noras schlanken Hüften saß, und der elegante Fall der Hose, die schmal und gerade an den teuren schwarzen Lederstiefeln endeten. »Deine Haare!« sagte Agnes.
Nora griff sich mit einer Hand an den Hinterkopf. »Die habe ich abgeschnitten. Zu viel Arbeit.«
Agnes konnte sich nicht vorstellen, was Nora mit Arbeit meinte. Ihrer Erinnerung nach hatte sie immer dickes kastanienbraunes Haar gehabt, das im Licht rötlich glänzte. Automatisch griff sie an ihr eigenes Haar, das kurz war, aber nur der Not gehorchend. Sobald es nur ein wenig länger wurde, sah es dünn und strähnig aus. Wie kam jemand, der mit solchem Reichtum gesegnet war, dazu, ihn einfach wegzuwerfen?
»Wie geht es dir?« fragte Agnes auf Carls Tod bezogen.
»Gut«, antwortete Nora mit einer Festigkeit, die Agnes neu war. »Gut«, wiederholte sie, und Agnes hörte einen zerstreuten Ton heraus. Nun, es war zu erwarten, daß Nora als Eigentümerin des Gasthofs mit ihren Gedanken woanders war. »Harrison ist auch schon angekommen«, fügte sie hinzu.
»Ach?« Agnes sah sich um. In diesem Raum war die düstere alte Küche nur noch blasse Erinnerung. Zwei Männer arbeiteten an zwei Herden, die in eine Kücheninsel mit schwarzer Granitplatte integriert waren. Zur Einrichtung gehörten außerdem zwei voluminöse Kühlschränke aus rostfreiem Stahl, ein großes Porzellanbecken, zwei Geschirrspülmaschinen, ebenfalls aus rostfreiem Stahl, und ein weißes Regal, auf dem elfenbeinfarbenes Geschirr gestapelt war.
»Lauter Sammelstücke«, sagte Nora mit einer umfassenden Geste zu dem hellen Geschirr. »Ich suche sie mir auf Flohmärkten und in Trödelläden zusammen, das macht mir Freude. Manche Stücke sind sehr alt. Keines paßt zum anderen. Aber genau das ist für mich der Reiz. Jedes Gedeck im Speisesaal kann aus Stücken mehrerer unterschiedlicher Serien und Muster bestehen.«
Eine lange Reihe altmodischer Sprossenfenster ließ natürliches Licht ein, über den Herden und der Arbeitsplatte hingen Kugellampen aus Glas. Einen Moment hielt Agnes sich die alte Küche vor Augen, ein schmaler Raum, an einem Ende ein Tisch unter einem Fenster, am anderen ein Kühlschrank. Die Schränke waren in einem Blaugrün aus den 1950er Jahren lackiert;auf dem Boden lag dunkles Linoleum, das Nora niemals richtig sauber bekam, ganz gleich, wie gründlich sie schrubbte. Auf Konsolen standen leere Weinflaschen mit Kerzen darin, und durch das eine kleine Küchenfenster hatte man nichts von der Landschaft gesehen, nur ein Stück Vorderveranda. Agnes, morgens immer die erste, ob zu Hause oder nicht, hatte den Kaffee gemacht. Sie genoß diese stillen Momente, wenn es langsam hell wurde, der Tag die Nacht ablöste. Nora kam meistens gegen halb neun, Carl gar nicht. Er arbeitete bis mittags und fuhr dann in seinem grünen VW ins College zum Unterricht. Sie erinnerte sich an Abendessen, die um neun Uhr anfingen und bis Mitternacht dauerten. Irgendwann pflegte sie sich zu entschuldigen, um ihr Bett mit der Flickendecke aufzusuchen, und ließ das Paar unten zurück, wo es weiter trank und rauchte und manchmal auch stritt.
Es war ihr bei ihren Besuchen nicht aufgefallen, und im nachhinein fiel es ihr auch nur wegen des Kontrasts auf: Nora war es damals nicht besonders gut gegangen. Sie erinnerte sich an ein blasses Gesicht,
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