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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Fehlen einer Uniform verlangte nach einer Erklärung, zu der Innes keine Lust hatte, da ja von Asthma offensichtlich keine Rede mehr sein konnte und alles übrige entweder fadenscheinig oder wehleidig klang. Er hatte sich nicht oft erklären müssen, da er in einer Welt amerikanischer Studenten und Ärzte gelebt hatte (deren Zahl schrumpfte, nachdem Amerika im April in den Krieg eingetreten war), aber er ahnte schon, daß er für die flüchtige Bekanntschaft wohl einen stichhaltigen Grund würde erfinden müssen. Ihm kam der Gedanke, daß vielleicht außer Dr. Fraser überhaupt keine anderen Männer bei Tisch sein würden, da so viele nach Übersee geschickt worden waren.
Er öffnete die Tür seines Zimmers und blickte den Flur hinauf und hinunter. Es rührte sich nichts, er sah niemanden, der ihn in den Salon hätte führen können. Es war ein bescheidenes Haus, trotzdem hatte man den Eindruck von vielen Zimmern. Er sah sich schon etwas ratlos von Tür zu Tür irren, in der Hoffnung, irgendwo ein menschliches Wesen zu finden. Nur nicht gerade einen Dienstboten, wenn es ging. Bloß nicht diesen mürrischen Kerl, der seinen Koffer hinaufgetragen hatte.
Er stieg die Treppe zum Vestibül hinunter. Aus irgendeinem Zimmer drangen Stimmen. Er hörte jemanden in fragendem Ton »Chutneyglas« sagen und vernahm von anderswo das Wort »Socken«, mit einem gewissen Nachdruck gesprochen. Die Türen im Flur waren geschlossen, Innes fühlte sich an Mrs. Frasers abweisenden Busen erinnert.
Er nahm an, daß die große Eichentür zu seiner Rechten in einen Salon führte, und öffnete sie vorsichtig. In dem Raum dahinter brannte eine Lampe mit einem kugelförmigen Schirm, die den sonst dunklen Raum kaum erhellte. Er bemerkte, daß die dicken Verdunkelungsvorhänge zugezogen waren. Er hörte das Knistern eines Feuers und hielt wie ein Verirrter in der Wildnis darauf zu. Als er näher kam, gewahrte er eine Frau, die mit dem Rücken zu ihm saß. Er zögerte. Die Frau schien ihn nicht bemerkt zu haben (war ihre Gleichgültigkeit Absicht oder war er wirklich so leise gewesen?), und er wollte sie in ihrer Versunkenheit nicht stören. Andererseits war er hier Gast, und man konnte nicht erwarten, daß er sich im Haus auskannte. Und wenn er jetzt hinausginge, würde er mit Sicherheit ein Geräusch machen, und man würde sich fragen, warum er sich hatte zurückziehen wollen.
»Guten Abend«, sagte er mit belegter Stimme.
Er trat vor, und die Frau drehte leicht den Kopf, aber sie sah ihn nicht an, um seinen Gruß zu erwidern. Die Lampe auf der Konsole hinter ihr beleuchtete ihr Haar, schwer und dunkel, in einem kunstvoll geschlungenen Knoten zusammengefaßt. Ihre Wange war glatt – sie war jung;neunzehn, zwanzig? – und ihr Mund entspannt. Ihre Augenbrauen bildeten eine beinahe gerade Linie, und ihre Wimpern zeigten eine zarte Krümmung. Begierig, das ganze Gesicht zu sehen, ging Innes auf sie zu, indem er sagte: »Hallo, ich bin froh, daß ich jemanden gefunden habe.«
Sie bot ihm die Hand, und er ergriff sie.
Innes konnte jetzt das ganze Gesicht erkennen, aus dem ein kurzes Lächeln die merkwürdige Kälte der zuvor nur im Profil erblickten Züge tilgte. Sie hatte glänzende dunkle Augen. Über einem Kleid aus dünnem gepunktetem Stoff trug sie einen irisierenden, federleichten blauen Schal. Innes konnte die Konturen eines schwarzen Korsetts oder Unterkleids erkennen. Den tiefen Ausschnitt des Kleids umrahmte ein breiter Kragen, ähnlich wie der einer Matrosenbluse. Der Rock ihres Kleids reichte ihr, in Falten liegend, knapp unter das Knie.
»Sie müssen Mr. Finch sein«, sagte sie. »Ich bin Hazel Fraser. Ich bin die erste hier unten. Ich trinke einen Sherry. Möchten Sie auch einen? Mein Vater ist leider noch nicht zurück. Ich kann mir vorstellen, daß Sie gespannt sind, ihn kennenzulernen.«
»Ja, das bin ich«, bestätigte Innes. Er war nicht aufgefordert worden, sich zu setzen. Und sollte er sich den Sherry selbst einschenken? Aber ja, natürlich. Als er sich zur Flasche auf dem Tisch vor Hazel hinunterbeugte, merkte er, daß seine Hand zitterte, und er bedauerte, nicht einen Moment gewartet oder überhaupt abgelehnt zu haben. Sicherlich würde sie das Zittern bemerken, das, als er das kleine blau-goldene Glas vom Tablett nahm, noch deutlicher wurde. Er zählte sechs Gläser und überlegte, wer noch kommen würde.
»Bitte nehmen Sie doch Platz«, sagte Hazel, als Innes endlich mit Glas und Flasche zurechtgekommen war. Zitternde

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