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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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durchscheinende bläuliche Schatten unter den Augen, an einen schmalen Körper, der nicht kräftig war. Nora hatte lange Röcke und Stiefel getragen, weite Pullover und große silberne Ohrreifen. Carl hatte Agnes immer zuvorkommend behandelt (sie hatte das Gefühl gehabt, daß er dazu angehalten worden war), obwohl er den Leuten gern auf den Zahn fühlte und selbst die anscheinend harmloseste Bemerkung zerpflücken konnte. Im Zusammensein mit Carl Laski lernte man, seine Zunge zu hüten, vergaß es höchstens, wenn man sehr betrunken war, was manchmal passierte. Dann konnte Leichtsinn zu Unbesonnenheit führen und beinahe mit Sicherheit weiter zu einem Streit, den man, darin waren sie alle geübt, als intellektuelle Diskussion maskierte. Aber obwohl Agnes ab und zu entschieden zuviel getrunken hatte, war sie nie in Versuchung geraten, den beiden von Jim zu erzählen, nicht einmal Nora, die sie wirklich liebte.
    Agnes schloß kurz die Augen. Wo Jim jetzt wohl sein mochte? Sie schaute auf die große Uhr im Holzgehäuse, die auf dem Regal stand. Wahrscheinlich zu einem frühen Mittagessen im Speisesaal oder auf einem Spaziergang über das riesige Gelände der Privatschule, an der er jetzt unterrichtete. Ob er wohl manchmal an sie dachte?
    »Die hast du behalten«, sagte sie, auf die Uhr zeigend.
    »Ja. Harrison ist hier. Habe ich das schon gesagt? Er ist vor ungefähr einer Stunde gekommen. Komm, ich zeige dir dein Zimmer.«
    »Ach, Nora«, sagte Agnes, die sich für ihre Freundin, ihre frühere Zimmergenossin, unverkennbar freute. »Ich bin so froh zu sehen, daß es dir gutgeht.«
    »Ja, es geht mir gut«, bestätigte Nora mit einem schnellen Lächeln. »Es geht mir sehr gut.«
    Agnes folgte Nora die Hintertreppe hinauf – nicht so repräsentativ wie die Treppe vorn – und dann durch einen Korridor mit glänzenden Hartholzdielen. Auf kleinen Tischen an den Wänden standen Vasen mit frischen Blumen. Vor einer Tür blieb Nora stehen. Sie sperrte mit einem Schlüssel auf – einem richtigen alten Messingschlüssel – und hielt die Tür auf, um Agnes zuerst eintreten zu lassen.
    Nicht das übliche Landgasthauszimmer, dachte Agnes. Kein Chintz, keine gemusterten Vorhänge, keine gerüschten Bettüberwürfe. Vielmehr eine Ausstrahlung von Einfachheit und Ruhe, am liebsten hätte sie sich gleich wieder hingelegt. Das Bett und die Nachttische waren aus schwarzem Holz. Steppdecke und Kopfkissen steckten in einfachen weißen Bezügen mit schwarzer Borte. Aus der Wand, in einem blassen Taubengrau gestrichen, sprangen zwei verchromte Leselampen hervor. Unter den drei nebeneinanderliegenden Fenstern stand eine weiße Chaiselongue mit einer Chenilledecke, auf der anderen Seite des Zimmers sah sie einen schwarzen Schreibtisch mit einem Stuhl davor. Auf einer Kofferbank lag Agnes’ orangefarbene Sporttasche, der einzige schrille Ton in dieser gefälligen kleinen Symphonie.
    »Was für ein schönes Zimmer«, sagte Agnes. »Hast du Fotos machen lassen?«
    »Ja«, sagte Nora. »Ein paar.«
    Im Badezimmer war ein Marmorwaschtisch mit Chromarmaturen, die aussahen, als stammten sie aus England. Unter einer weiteren Fensterreihe war, in einen Alkoven eingebaut, eine ovale Badewanne mit Jacuzzi. Handtücher und Fußmatten waren flauschig und weiß.
    »Ich bin überwältigt«, sagte Agnes, die sich nicht mehr zurückhalten konnte und sich auf das Bett fallen ließ.
    »Du bist sicher müde«, sagte Nora. »Ich lasse dich jetzt in Ruhe.« Sie sah auf ihre Uhr, eine Geste, die Agnes noch nie bei ihr bemerkt hatte. Hatte sie früher überhaupt eine Uhr getragen?
    »Wenn ich mir vorstelle, daß du das alles allein geschafft hast«, sagte Agnes. Sie dachte, wie lange es dauern konnte, Jahre manchmal, bis man endlich wußte, was man wirklich wollte, was einem wirklich lag.
    Nora legte den Messingschlüssel auf den Schreibtisch und ging zur Tür. »Wir sehen uns heute abend zum Aperitif. Wenn nicht vorher. Halb sieben in der Bibliothek?«
    Agnes lachte. »Wie schön für uns, daß Bill und Bridget beschlossen haben zu heiraten.« Sie hielt kurz inne. »Wie geht es Bridget?«
    »Meiner Meinung nach wird es zu anstrengend für sie«, sagte Nora. »Aber Bill – Bill behauptet, sie hätte genug Kraft und Willen für sie beide. Wir versuchen, es möglichst einfach zu halten. Bridget muß sich vielleicht ab und zu mal auszuruhen. Aber das macht nichts. Das wird keinen stören.«
    »Es wird bestimmt wunderschön«, sagte Agnes.
    »Wenn du etwas essen

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