Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
Hände! Der Tod eines jeden Augenchirurgen! Dabei hatte Innes im Operationssaal immer eine absolut ruhige Hand. Als Arzt war er äußerst klar und, wie er hoffte, begabt.
»Wie war Ihre Reise?« erkundigte sie sich.
»Ereignislos«, antwortete Innes und zog seinen Anzug zurecht, als er sich setzte. Er hatte nur den einen Anzug, dazu zwei Hemden, für die Stadt würde das nicht reichen. Er hoffte, er würde Zeit haben, einen Schneider aufzusuchen, auch wenn er bei seinen Einkäufen sparsam sein mußte. Bis ein Gehalt vereinbart war – Innes rechnete mit einem Gehalt, obwohl davon nie etwas erwähnt worden war –, mußte er mit dem Geld auskommen, das seine Schwester und seine Mutter geschickt hatten, ein Vermögen für die beiden Frauen, aber kaum genug, um die Kosten für einen neuen Anzug zu decken.
»Das Angenehmste, was man sich wünschen kann«, sagte Hazel, »auch wenn man sich insgeheim immer nach Abenteuern sehnt.«
»Glauben Sie?« fragte Innes. »Ich würde meinen, gerade in Kriegszeiten kommt man gut ohne Abenteuer aus.«
»Hier sehnt man sich nach ein wenig Aufregung«, erklärte Hazel. »Wir sind hier in der Provinz.«
Innes suchte nach einer diplomatischen Erwiderung.
»Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht«, fügte Hazel hinzu. »Aber Ihr Leben«, sagte sie, sich ihrer guten Erziehung gemäß selbst zurücknehmend, »Ihr Leben war doch faszinierend – Studium in Amerika, wie ich gehört habe. Abschluß in Medizin.«
Hazel wußte also, daß Innes aus Cape Breton kam. Zweifellos war sie auch über seine persönlichen Verhältnisse unterrichtet. »Wenn Tote, Bibliotheken und Bücher aufregend sind«, sagte er, und es sollte liebenswürdig klingen, nicht kokett, »vielleicht ja.« Er nahm an, daß die Frau, der er soeben zum ersten Mal begegnet war (er rückte das Alter auf drei- oder vierundzwanzig hinauf: so ein ernster Zug um den Mund), nach Risiko verlangte, daß sie es in Gedanken und auf der Zunge trug, auch wenn sie sich bemühen mochte, es andere nicht sehen zu lassen. Daher die vollkommene Reglosigkeit.
(Ja, dachte Innes, in einer Weise war sein Leben tatsächlich reich an Abenteuern gewesen, allerdings nicht durch den Auslandsaufenthalt oder das Studium. Das, was er an Abenteuern erlebt hatte, hätte er am liebsten vergessen – den unvermeidlichen Kampf der Armen um das tägliche Brot, einen Kampf voller Risiko und manchmal mit tödlichem Ausgang wie bei seinem Vater, einem Fischer, der von seinem Boot aus über Bord gespült worden war. Innes gehörte jetzt zu den Menschen, die nach einer ganz anderen Art von Abenteuer verlangte, nach einem ganz konkreten geistigen Abenteuer. Darauf wartete er begierig, ungeduldig.)
»Da sind Sie ja«, hörte Innes eine Stimme in seinem Rücken und sah die rasch ausschreitende Mrs. Fraser schon vor sich, ehe sie in sein Blickfeld kam. Es überraschte ihn, wie übel er die abrupte Störung nahm. Er war von einem richtigen Gespräch mit Hazel noch weit entfernt gewesen; einem Gespräch, das nun, im Beisein von Mrs. Fraser, nicht mehr geführt werden konnte. Und er hätte es so dringend führen wollen, nicht wegen des Inhalts, der sich wohl eher als banal erweisen würde, sondern weil er sich an Hazels Stimme noch nicht sattgehört hatte.
»Ich sehe, Sie haben den Sherry gefunden.« Mrs. Frasers Ton unterstellte einen Akt der Wilderei. Innes stand auf, wie es die Form gebot. Er durfte sich erst wieder setzen, wenn Mrs. Fraser sich setzte, und sie schien nicht daran zu denken. Sie war erregt, ja, sogar leise empört, woran, sagte sich Innes, gewiß nicht nur der Sherry schuld sein konnte.
»Darf ich Ihnen ein Glas einschenken?« Innes fing Hazels verwirrten Blick auf, als er sich zur Flasche beugte. Und er sah im Feuerschein einen Ring aus winzigen Diamanten an einem Finger der Hand, die das blau-goldene Sherryglas hielt.
»Im Moment nicht«, antwortete Mrs. Fraser, womit sie vermutlich sagen wollte, daß es für den Aperitif noch zu früh war (ein weiterer kleiner Grund zur Empörung?). »Hazel«, sagte sie mit einem demonstrativen Blick von der jungen Frau zu dem immer noch stehenden Innes, »wo ist denn nur Louise ?«
Da erst, als Innes sich zu seiner vollen Größe aufrichtete (er war nicht besonders groß, wenn er auch die sehr kleine Mrs. Fraser deutlich überragte), begriff er, daß er sich in Mrs. Frasers Augen schuldig gemacht hatte, die Bekanntschaft der falschen Schwester gesucht zu haben.
Genau , dachte Agnes, legte den Stift weg und
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