Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
Ausbrüche, wie man sie bei halbwüchsigen Mädchen manchmal erlebt: Zuerst war sie hingerissen von ihrer Perücke, dann fuhr sie wütend ihre Mutter an, riß sich die Perücke vom Kopf, als wäre sie verseucht, und begann schließlich zu schluchzen. Das Mädchen sollte in zwei Tagen heiraten, wie Bridget erfuhr (die sich ausrechnete, daß das ein Mittwoch wäre; seltsam, an einem Mittwoch zu heiraten), und kurz vor der Trauung würde ihr der Kopf kahl geschoren werden. Nach der Tradition des orthodoxen Glaubens, dem das Mädchen angehörte, durften verheiratete Frauen keinen außer ihren Ehemann ihr Haar sehen lassen. Die junge Frau würde den Rest ihres Lebens die Perücke tragen. Sie hatte prachtvolles langes Haar, voll und glänzend, und Bridget konnte nicht glauben, daß sie es sich in zwei Tagen einfach abschneiden lassen würde. Die Vorstellung beschwor Bilder von Konzentrationslagern und französischen Kollaborateurinnen im Zweiten Weltkrieg herauf. Was Bridget in den wenigen Minuten in diesem Hinterzimmer erlebte, mutete sie so fremd an (so schwer übersetzbar) wie kaum etwas in ihrem bisherigen Leben, und erst als die Ladeninhaberin hereinkam und ihr mit sanften Fingern durch das kurze (und in dieser Umgebung ganz gewiß fremd anmutende) Haar strich, erinnerte sich Bridget wieder an ihre Krankheit und an den Grund ihres Besuchs.
Dreimal hatte sie bis zur Fertigstellung der Perücke nach Brooklyn fahren müssen, jede Fahrt infolge der kräftezehrenden Behandlungen anstrengender als die vorhergehende, die letzte beinahe eine Fahrt der Verzweiflung, da ihr die Haare mittlerweile in Büscheln ausfielen. Bill hatte einen Wagen gemietet, der Bridget zu Hause abholte und zu der nun vertrauten, ja, beinahe schon heimischen Perückenwerkstatt brachte, wo das Personal sie wie eine Freundin empfing. Der Wagen hatte auf Bridget gewartet und sie wieder nach Hause gebracht, eine Fahrt von insgesamt dreizehn Stunden, die Bill fast tausend Dollar kostete und, wie Bridget sich später sagte, jeden Penny wert war.
Bridget hatte sich jetzt an die Perücke gewöhnt, fand sie sogar angenehm bequem (sie brauchte sie nach dem Aufwachen nur aufzusetzen und war sofort perfekt frisiert), wenn sie auch in den Nächten, in denen Bill bei ihr blieb, ein unwillkommen lebloses Objekt im Bett war. Das Schlimmste am Krebs war nicht die Angst vor dem Sterben, und es waren auch nicht die Behandlungen, sondern nach Bridgets Meinung war es der Verlust von Würde, der gerade vor einer Hochzeit besonders qualvoll war.
Der Krebs hatte Bridget aus heiterem Himmel überrascht, und sie hatte lange gebraucht, um die Realität zu akzeptieren. Sie erinnerte sich an den Routinetermin zur Mammographie Ende August, die dritte seit ihrem vierzigsten Geburtstag, und ihr vorausgehendes Gejammer darüber, wie langweilig und unangenehm die Prozedur sei. Sie war sich nackt vorgekommen in dem Krankenhauskittel, als sie nach der Mammographie in einer engen Kabine beim Radiologen gewartet hatte. In der Annahme, gleich nach Hause geschickt zu werden wie nach den letzten beiden Untersuchungen, hatte sie zerstreut in einer Zeitschrift einen Artikel darüber gelesen, wie man aus drei Mahlzeiten neun machen konnte. Doch diesmal wurde sie zu weiteren Aufnahmen gebeten, wenn auch mit der beruhigenden Versicherung, daß nur die Technik versagt habe. Danach wartete sie wieder in der Kabine, nicht fähig zu lesen, die Zeitschrift so verkrampft in der Hand, daß Druckerschwärze auf ihren Fingern zurückblieb. Als eine Assistentin ihr mitteilte, es müsse eine Sonographie gemacht werden, geschah das ohne jedes Brimborium, so daß Anlaß zur Sorge nicht gegeben schien: Man sprach von Zysten in Bridgets Brust. Sie lag mit Gel auf der Brust in einem abgedunkelten Raum, während die Assistentin mit einer Sonde die Brustwarzen und das Gebiet darum herum abtastete. Immer wieder zog sie ihre Kreise, bevor sie schließlich die Sonde aus der Hand legte und den Radiologen holte. Bridgets Fragen – Ist alles in Ordnung? Sehen Sie etwas? – blieben unbeantwortet, während Arzt und Assistentin gedämpft von einem »Schatten« sprachen.
Das Licht ging wieder an, und Bridget wurde gebeten, sich anzuziehen und in das Sprechzimmer des Radiologen zu kommen. Ihre Hände zitterten, als sie ihre Bluse zuknöpfte, aber sie glaubte immer noch, die Nachricht würde im wesentlichen gut sein. Vielleicht mußte eine Zyste entfernt werden, vielleicht wollte man auch vorsichtshalber eine
Weitere Kostenlose Bücher