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Eine Idee des Doctor Ox

Eine Idee des Doctor Ox

Titel: Eine Idee des Doctor Ox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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Scheltwort im Haushalt;
     keine schnellere Bewegung in Herz noch Hirn; der Durchschnitt der Pulsschläge blieb, wie in der guten alten Zeit, fünfzig
     bis zweiundfünfzig in der Minute.
    Aber ein absolut unerklärliches Phänomen, das auch die geistreichsten Physiologen nicht aufzuklären vermocht hätten, zeigte
     sich, so wie sie in's öffentliche Leben traten; sie erlitten dann eine sichtliche Metamorphose und geriethen bei verschiedenartigen
     Ansichten über gemeinnützige Dinge hart an einander.
    Eine Versammlung in öffentlichen Gebäuden, wie in der Börse, dem Rathhause, der Aula der Akademie oder in den Sitzungssälen
     des Rathes »war nicht mehr«, wie Commissar Passauf sich ausdrückte, denn alsbald bemächtigte sich eine solche Lebhaftigkeit
     und Ueberreiztheit der Anwesenden, daß an die ruhige Berathung einer Sache nicht zu denken war. Nach einer Stunde pflegten
     dann die Aeußerungen etwas scharf zu werden, und nach zwei Stunden artete die Discussion in Streit und Zank aus; es kam zu
     Persönlichkeiten, und die Köpfe erhitzten sich. Ja,sogar in der Kirche, während der Predigt konnten die Gläubigen den Geistlichen van Stabel nicht mehr kaltblütig anhören,
     dieser arbeitete sich in fast unglaublicher Weise auf der Kanzel ab und ermahnte mit größerer Strenge als je zuvor.
    Unter diesen Verhältnissen kam es bald zu neuen Wortgefechten, die bei weitem bedenklicher verliefen als die Differenz zwischen
     dem Doctor Custos und dem Advocaten Schut; und wenn die Behörde bei solchen Angelegenheiten niemals einzuschreiten brauchte,
     so kam dies einfach daher, daß die Zänker Ruhe und Vergessenheit all der gegenseitigen Beleidigungen fanden, sowie sie nach
     Hause zurückgekehrt waren.
    Trotzdem entgingen diese Veränderungen den Leuten selbst, da sie so gar nicht gewohnt waren, sich zu beobachten und darauf
     zu achten, was in ihnen vorging. Nur eine einzige Person in der Stadt war auf allerlei Bedenken gekommen und hatte ihre Schlüsse
     gemacht, und dies war der Mann, dessen Amt man seit dreißig Jahren eingehen lassen wollte, der Civilcommissar Michel Passauf.
     Er hatte die Bemerkung gemacht, daß die Aufregung und Reizbarkeit nur in öffentlichen Gebäuden, nie aber in Privathäusern
     auftrat, und fragte sich angstvoll, was daraus werden sollte, wenn diese »Epidemie«, wie er es nannte, sich bis in die Bürgerhäuser
     und auf die Straßen der Stadt erstreckte. Dann war an kein Vergessen der Beleidigungen zu denken, auf keine Ruhe, keine Pause
     in der wahnsinnigen Aufregung zu hoffen, sondern permanenter Brand überall, der unvermeidlich die Quiquendonianer verzehren
     und aufreiben würde.
    »Was soll denn werden?« fragte sich schreckensvoll Commissar Passauf. Wie wird diese wilde Erregung,dieses heiße Temperament dann zu zügeln sein? Mein Amt ist dann keine Sinecure mehr, und der Rath wird sich dazu herbeilassen
     müssen, mein Gehalt zu verdoppeln – wenn ich nämlich bis dahin nicht so weit gekommen bin, daß ich mich selbst wegen Verletzung
     der öffentlichen Ordnung habe arretiren müssen!«
    Leider begannen diese gerechten Befürchtungen mehr und mehr sich zu realisiren; das Uebel ging von der Börse, der Kirche,
     dem Theater, dem Gemeindehause, der Akademie und der Halle in die Häuser der Privatleute über, und zwar in weniger als vierzehn
     Tagen nach der beschriebenen, unerhörten Vorstellung der »Hugenotten«.
    Die ersten Symptome der Epidemie zeigten sich im Hause des Banquiers Collaert.
    Dieser Herr, ein außerordentlich reicher Bürger der Stadt, gab den Notabilitäten von Quiquendone einen Ball, oder doch eine
     Soirée dansante. Vor einigen Monaten nämlich hatte er eine Anleihe von 30,000 Franken emittirt, die zu drei Vierteln subscribirt
     war, und jetzt beabsichtigte er, um diesen finanziellen Erfolg anzuerkennen, seinen Mitbürgern ein Fest zu geben und ihnen
     hierzu seine Salons zu öffnen.
    Was es für gewöhnlich mit den harmlosen, ruhigen Empfangsabenden der Flamänder auf sich hat, ist allgemein bekannt; ihre Hauptkosten
     werden mit Bier und Syrup bestritten, und die Unterhaltung dreht sich um das Wetter, die Ernteaussichten, den gegenwärtigen
     Zustand der Gärten und die Pflege der Blumen, besonders der Tulpen.
    Von Zeit zu Zeit spinnt sich ein Tanz ab, der so langsam und abgemessen wie ein Menuettausgeführt wird; auch die deutschen Walzer, die kaum anderthalb Umdrehungen in der Minute gestatten, und bei denen sich die
     Tanzenden so weit von

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