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Eine Idee des Doctor Ox

Eine Idee des Doctor Ox

Titel: Eine Idee des Doctor Ox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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einander abhalten, als die Länge ihrer Arme es irgend erlaubt, waren in Quiquendone sehr beliebt. So
     der gewöhnliche Verlauf der Bälle in der dortigen vornehmen Gesellschaft. Auch die Polka hatte einen Versuch gemacht, sich
     zu acclimatisiren, indem sie nämlich auf vier Tacte gesetzt worden war; aber die Tänzer blieben regelmäßig hinter dem Orchester
     zurück, so langsam auch das Tempo genommen war, und man hatte auf diesen neuen Tanz verzichten müssen.
    Niemals, so lange man denken konnte, war bei diesen mäßigen, fein sittigen Vergnügungen der jungen Welt irgend ein Aergerniß
     oder ein unangenehmer Auftritt vorgefallen; warum mußte sich zum ersten Mal bei dem Empfangsabend des Banquier Collaert der
     Syrup in Wein, schäumenden Champagner oder stürmenden Punsch verwandeln? Warum ergriff, etwa um die Mitte des Festes, eine
     unerklärliche Trunkenheit alle Geladenen? Warum schlug plötzlich das Menuett in eine Saltarella 4 um, beeilte das Orchester den Tact, glänzten, wie im Theater, die Kerzen in ungewöhnlichem Glanz? Wie kam es, daß ein wunderbarer,
     elektrischer Strom die Salons des Banquiers durchfluthete, daß die Tanzenden sich einander näherten, die Hände einander energischer
     drückten, und einzelne Cavaliere sich sogar durch gewagte Pirouetten und wunderliche Pas auszeichneten, und das während der
     sonst so majestätischen, anstandsvollen, feierlichen Pastorella!Welcher Oedipus hätte all diese Fragen beantworten können? Der Kommissar Passauf, der auch an diesem Abend zugegen war, sah
     den Sturm nahen, konnte ihm aber nicht vorbeugen oder ihm entfliehen. Er merkte, wie auch er sich einer gewissen Trunkenheit
     nicht erwehren konnte, wie all seine physiologischen und Leidenschaftsfähigkeiten wuchsen, und man bemerkte zu wiederholten
     Malen, wie er sich an die Schüsseln süßen Backwerks machte und sie mit so fabelhaftem Appetit plünderte, als hätte er soeben
     eine lange Fastenzeit überstanden.
    Unterdessen nahm die Lebhaftigkeit der Gesellschaft mit jeder Viertelstunde zu; ein dumpfes Flüstern, gleichsam ein langgezogenes
     Summen stieg aus jeder Brust. Es wurde getanzt, wirklich getanzt, und die Füße regten sich mit immer wachsender Geschwindigkeit.
     Ueberall sah man auf karfunkelglänzende Augen, und hochrothe Wangen wie auf Silenengesichtern; die allgemeine Gährung war
     auf den höchsten Grad gestiegen.
    Und als nun das Orchester den Walzer aus dem »Freischütz« intonirte und dieser echt deutsche langsame Tanz erklingen sollte,
     hörte man keinen Walzer mehr, sondern einen wahnsinnigen Wirbel, eine schwindelnde Rotation, die eines Vortänzers wie Mephistopheles
     mit glühendem Feuerbrande würdig gewesen wäre. Dann riß ein wahrer Höllengalop, dem Niemand Einhalt thun konnte, wohl eine
     Stunde lang Väter, Mütter, die jungen Leute, kurz, Individuen jedes Alters, jedes Gewichts und jedes Geschlechts mit sich
     fort durch alle Räume der kostbar eingerichteten Wohnung, von den Salons durch die Vorzimmer, über die Treppen zum Keller
     hinunter und zum Boden hinauf. Unter diesen tollen Tänzern undTänzerinnen befanden sich sowohl der dicke Banquier Collaert mit seiner Gemahlin, wie die Räthe, Magistratspersonen und Richter;
     Niklausse und Frau van Tricasse, der Bürgermeister und Commissar Passauf drehten sich in dem wilden Wirbel herum und wußten
     später nie, wer in diesem bacchantischen Reigen ihr Partner gewesen war.
    Auf Eine aber hatte ihr Tänzer, der Commissar Passauf, einen tiefen Eindruck gemacht; sie sah ihn in ihren Träumen, fühlte
     seine leidenschaftliche Umarmung und konnte ihn nicht vergessen. Diese Eine war unsere liebenswürdige Tatanémance!

Neuntes Capitel,
in dem Doctor Ox und sein Famulus Ygen sich nur wenige Worte zu sagen haben.
    »Nun, Ygen?
    – Die Röhrenlegung ist fertig und Alles bereit, Meister.
    – Endlich! Jetzt wollen wir in großem Maßstabe operiren und eine Massenwirkung erzielen!«

Zehntes Capitel,
in dem man sehen wird, wie die Epidemie in der ganzen Stadt um sich greift, und welch wunderbare Wirkung sie hervorbringt.
    In den folgenden Monaten dehnte sich das Uebel immer weiter aus; es verbreitete sich von den Privathäusern auf die Straßen
     und Gassen der Stadt, und Quiquendone war nicht mehr wieder zu erkennen.
    Das bisher beobachtete Phänomen wurde durch ein noch weit außerordentlicheres in den Schatten gestellt, denn nicht nur Menschen
     und Thiere, sondern auch die Pflanzen mußten sich vor ihm

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