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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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einsam.«
    Die Mehlklumpen in Maus Magen mochten das braune Getränk nicht. Er blieb ganz ruhig und kämpfte darum, sie bei sich zu behalten.
    Das Mädchen sah ihn nervös an und sagte: »Mein Name ist… ähm… Daphne.« Sie hüstelte geziert und fügte hinzu: »Ja, Daphne.« Sie zeigte auf sich und streckte ihm ihre Hand entgegen.
    »Daphne«, wiederholte sie etwas lauter. Dieser Name hatte ihr schon immer gefallen.
    Mau blickte gehorsam auf ihre Hand, aber darin war nichts zu sehen. Also war sie… aus Daphne? Das Wichtigste, was es auf den Inseln über jemanden zu wissen gab, war der Name seiner Sippe. Von diesem Ort hatte er noch nie gehört, aber es hieß auch, dass niemand alle Inseln kennen konnte. Einige der ärmeren wurden bei Flut völlig überschwemmt, und die Hütten waren so gebaut, dass sie schwimmen konnten. Von ihnen war jetzt bestimmt nichts mehr übrig… Wie viele mochte es überhaupt noch geben? Waren die Menschen überall auf der Welt ertrunken?
    Das Geistermädchen stand auf und ging über das schräge Deck zur Tür. Daraus schöpfte Mau neue Hoffnung. Mit etwas Glück würde er nicht noch mehr von diesem Holzzeug essen müssen.
    »Könntest du mir bitte mit dem bedauernswerten Captain Roberts helfen?«, fragte sie.
    Offenbar wollte sie, dass Mau hinausging, also erhob er sich hastig. Das schlechte Brot wollte nach draußen, und der Geruch des Feuers bereitete ihm Kopfschmerzen.
    Taumelnd trat er in die frische Nachmittagsluft hinaus.
    Das Mädchen stand neben diesem grauen, eingerollten Bündel, das Mau schon gestern aufgefallen war. Sie sah ihn mit hilfloser Miene an.
    »Der arme Captain Roberts«, sagte sie und stieß leicht mit dem Fuß dagegen.
    Mau zog das schwere Tuch zurück, und die Leiche eines alten Hosenmannes mit Bart kam zum Vorschein. Er lag auf dem Rücken, und seine Augen starrten ins Nichts. Als Mau das Tuch weiter herunterzog, sah er, dass der Mann einen großen Ring aus Holz in Händen hielt, an dessen Rand lauter Holzdornen steckten.
    »Er hat sich an das Schiffsruder gefesselt, damit er nicht fortgespült wird«, sagte das Mädchen hinter ihm. »Die Stricke habe ich durchgeschnitten, aber seine Hände wollten das Ruder nicht freigeben. Also habe ich mir einen Hammer gesucht und das Steuerrad losgeschlagen. Und dann habe ich mir wirklich die allergrößte Mühe gegeben, ihn zu begraben, aber der Boden ist einfach zu hart, und allein kann ich ihn nicht woanders hintragen. Ich bin mir sicher, dass er nichts gegen eine Seebestattung einzuwenden hätte«, beendete sie ihren Wortschwall, den sie in einem Atemzug ausgestoßen hatte.
    Mau seufzte. Ihr muss doch klar sein, dass ich sie nicht verstehen kann, aber sie redet trotzdem immer weiter, dachte er. Sie möchte, dass dieser Tote bestattet wird, so viel steht fest. Wie lange es wohl gedauert hat, dieses armselige kleine Loch in den Boden zu kratzen? Aber sie ist ganz allein und hat ihre Heimat verloren, genau wie ich.
    »Ich kann ihn dem dunklen Wasser übergeben«, sagte Mau.
    Mit der Hand machte er Wellenbewegungen und ahmte dabei das Rauschen der Brandung nach.
    Einen Moment lang wirkte sie erschrocken, doch dann lachte sie und klatschte in die Hände. »Ja! Ja! Richtig. Ins Meer! Wuusch, wuusch! Das Meer!«
    Den Mann zusammen mit dem Holzring konnte er nicht tragen, aber das Tuch war sehr fest, und Mau entschied, dass er die Leiche auch über die zermalmten Pflanzenreste der Schneise schleifen konnte. Das Mädchen half ihm, so gut sie konnte, bei der Überwindung schwieriger Stellen, und als sie das Ufer erreicht hatten, glitt das graue Bündel recht mühelos über den feuchten Sand. Doch es war noch ein langer, anstrengender Weg bis zum westlichen Ende des Strandes. Schließlich jedoch hatte Mau es geschafft, ihn ins hüfthohe Wasser am Rand des Riffs zu befördern.
    Er blickte noch einmal in diese toten Augen, die geradeaus starrten, und fragte sich, was sie in der dunklen Strömung wohl sehen würden. Würden sie überhaupt etwas sehen? Konnte denn irgendjemand etwas sehen?
    Er fuhr zusammen. Wie konnte er so etwas überhaupt denken?
    Einst waren wir Delfine, und Imo machte uns zu Menschen!
    Das war die Wahrheit! Wie kam er nur dazu, das in Frage zu stellen? Und wenn es doch nicht die Wahrheit war, dann gab es da draußen nur dunkles Wasser und sonst rein gar nichts.
    Er verdrängte diese Gedanken, bevor sie ihn mitreißen konnten. Das Daphne-Mädchen beobachtete ihn, und jetzt sollte er sich keine Unsicherheit und

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