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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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klang wieder sehr nach Hosenmenschensprache.
    Die Sonne stand tief, aber immer noch eine Handbreit über dem Meer. Unglaublich viel war in einem relativ kurzen Zeitraum passiert, der sich innerlich jedoch wie eine Ewigkeit anfühlte.
    Mau blickte auf das schlafende Mädchen. »Geschieht nicht«
    war nicht genug. Man konnte Locaha nicht trauen. Mit ihm konnte man keinen Handel abschließen. Jetzt musste Mau an »Wird nicht geschehen« denken. Der Tod sollte hier nicht herrschen…
    Er holte seinen Speer und hielt Wache bis zum Morgengrauen.

4
Vereinbarungen, Bündnisse
und Versprechungen
    Beim Ertrinken, so hatte Daphne gehört, zieht noch einmal das ganze Leben an einem vorbei. Dabei läuft das Leben eher dann in rasanter Geschwindigkeit vor dem inneren Auge ab, wenn man nicht ertrinkt, und zwar tatsächlich von der ersten Erinnerung bis zur letzten. Hauptsächlich sind es verwischte Bilder, aber in jedem Leben gibt es bedeutende Augenblicke, die immer farbiger werden, je häufiger man sich daran erinnert.
    In Daphnes Leben war einer dieser Momente der mit der Landkarte gewesen. In jedem Leben sollte es eine Landkarte geben.
    Ach ja, die Landkarte. Sie hatte sie im großen Atlas in der Bibliothek gefunden, an einem Winternachmittag. Eine Woche später hätte sie die Karte aus dem Gedächtnis nachzeichnen können.
    Ihr Titel lautete:
Der Große Südliche Pelagische Ozean
. Das war eine halbe Welt aus blauem Meer, zusammengehalten durch Nähte kleiner Punkte, die ihr Vater als »Inselketten« bezeichnet hatte. Es gab abertausende Inseln, und viele davon waren gerade groß genug für eine Kokospalme, hatte er gesagt.
    Laut Gesetz musste es selbst auf der winzigsten Insel mindestens eine Kokospalme geben, damit ein Schiffbrüchiger dort wenigstens etwas Schatten fand  [4] .
    Ihr Vater hatte ein Bild gezeichnet, wie sie in einem weißen Kleid und mit ihrem Sonnenschirm im Schatten einer Kokospalme saß. Dann fügte er am Horizont noch schnell ein Schiff hinzu, das kam, um sie zu retten.
    Einige Jahre später war sie selbst in der Lage, die Namen der Inselgruppen zu lesen: Die Rosenmontagsinseln, die AIlerseeleninsel, die Bitttagsinseln, die Muttertagsinseln, die Silvesterinseln… anscheinend hatte man den Großen Südlichen Pelagischen Ozean nicht mit einem Kompass, sondern mit einem Kalender als Navigationshilfe erkundet.
    Ihr Vater hatte gesagt, wenn man wusste, wo man suchen musste, konnte man auch die Mrs.-Ethel-J.-Bundys-Geburtstag-Insel finden, und gab ihr eine starke Lupe. Dann hatte sie viele Sonntagnachmittage auf dem Bauch liegend verbracht und sorgfältig jede Pünktchenkette studiert, bis sie zu dem Schluss gelangt war, dass die Mrs.-Ethel-J.-Bundys-Geburtstag-Insel ein Papa-Scherz war, d. h. nicht sehr witzig, aber in seiner Albernheit wiederum charmant. Und dank seines Scherzes kannte sie nun die Inselketten des Großen Südlichen Pelagischen Ozeans in und auswendig.
    Damals hatte sie davon geträumt, auf einer weit abgelegenen Insel zu leben, die so klein war, dass man sich nie sicher sein konnte, ob es wirklich eine Insel war oder ob nur eine Fliege auf der Landkarte ihr Geschäft hinterlassen hatte.
    Doch das war noch nicht alles. Auf den letzten Seiten des Atlas hatte sie eine Sternenkarte gefunden. Zu ihrem nächsten Geburtstag wünschte sie sich ein Teleskop. Damals hatte ihre Mutter noch gelebt und stattdessen ein Pony vorgeschlagen, aber ihr Vater hatte gelacht und ihr ein wunderschönes Teleskop geschenkt, mit den Worten: »Selbstverständlich sollte sie die Sterne beobachten! Ein Mädchen, das nicht in der Lage ist, das Sternbild des Orion zu erkennen, interessiert sich einfach nicht genug für die Welt, in der es lebt!« Als sie ihm dann immer kompliziertere Fragen gestellt hatte, nahm er sie zu den Vorträgen der Royal Society mit, wo sich herausstellte, dass ein neunjähriges Mädchen, das blondes Haar hatte und den Zyklus der Präzession kannte, die berühmten, vollbärtigen Wissenschaftler alles fragen konnte, was es wissen wollte. Wer brauchte schon ein Pony, wenn man das ganze Universum haben konnte? Das war viel interessanter, und man musste es nicht mindestens einmal pro Woche ausmisten.
    »Das war ein guter Tag«, sagte ihr Vater, als sie von einem Vortragsabend zurückkehrten.
    »Ja, Papa. Ich glaube, Dr. Agassiz hat stichhaltige Beweise für die Eiszeittheorie vorgelegt, und ich brauche unbedingt ein größeres Teleskop, wenn ich mir Jupiters Großen Roten Fleck ansehen

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