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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Götter ihm Schlimmeres antun als das, was sie ihm bereits angetan hatten? Wut stieg wie Galle in ihm hoch, und er spürte, dass sich die Dunkelheit in seinem Inneren auftat. Hatten die Menschen die Götter angerufen, als die Welle über sie hereingebrochen war? Hatte sich seine Familie womöglich an diese Steine geklammert? Hatten die Götter tatenlos zugesehen, wie sie versuchten, die höher gelegenen Lagen zu erreichen? Hatten die Götter dabei gelacht?
    Seine Zähne klapperten. Trotz der heißen Sonne war ihm kalt.
    Aber in seinem Kopf brannte ein Feuer, das seine Gedanken zum Glühen brachte.
    »Habt ihr die Schreie der Menschen gehört?«, brüllte er in den leeren Himmel. »Habt ihr zugesehen? Ihr habt sie zu Locaha geschickt! Ich werde euch nicht dafür danken, dass ich am Leben bin! Ihr hättet das Leben der Menschen retten können!«
    Er setzte sich wieder auf die
Hand
und zitterte vor Wut und düsterer Ahnung.
    Es kam keine Reaktion.
    Mau blickte in den Himmel. Weder waren Sturmwolken zu sehen, noch machte es den Anschein, als wollte es Schlangen regnen. Er betrachtete die blaue Perle an seinem Handgelenk. Eigentlich sollte ihre Wirkung nur für einen Tag reichen. Hatte sich womöglich ein Dämon eingeschlichen, während er geschlafen hatte? Zweifellos wäre nur ein Dämon imstande, solche Gedanken zu denken!
    Aber sie stimmten! Oder ich habe gar keine Seele. Vielleicht ist die Dunkelheit in mir meine tote Seele… Er saß da und hatte die Arme um den Oberkörper geschlungen, während er darauf wartete, dass das Zittern aufhörte. Er musste seinen Kopf mit alltäglichen Dingen ausfüllen, genau! Das würde ihn schützen.
    Er blickte den leeren Strand entlang und dachte: Ich sollte lieber ein paar Kokosnüsse pflanzen. Immerhin sind sehr viele angespült worden. Und Schraubenbäume, auch von denen werde ich welche einpflanzen, damit sie Schatten spenden. Das klang jedenfalls nicht dämonisch. Mau konnte das Bild dessen, was sein würde, vor seinem geistigen Auge sehen, es überlagerte das schreckliche Chaos am Strand, doch in der Mitte des Bildes war ein weißer Fleck. Er blinzelte und erkannte das Geistermädchen, das zu ihm gelaufen kam. Sie war ganz in Weiß gehüllt und trug zudem noch etwas weißes Rundes über dem Kopf, wahrscheinlich, um sich vor der Sonne zu schützen oder damit die Götter sie nicht sahen.
    Ihr Gesicht zeigte einen entschlossenen Ausdruck, und unter dem Arm, der nicht den Sonnenschirm hielt, klemmte etwas, das wie ein Holzblock aussah.
    »Guten Morgen, Mau«, sagte sie.
    »Daphne«, erwiderte Mau – das einzige Wort, dessen er sich sicher war.
    Sie blickte bedeutungsvoll auf den Stein, auf dem er saß, und hüstelte leise. Dann wurde ihr Gesicht hellrosa. »Es tut mir schrecklich leid«, sagte sie. »Ich bin diejenige mit den schlechten Manieren, nicht wahr? Also, wir sollten wirklich lernen, uns miteinander zu unterhalten, und da ist mir diese Idee gekommen, weil du doch immer die Vögel beobachtest…«
    Der Holzblock… war keiner. Er klappte auf und teilte sich, als Daphne daran zog. Im Innern bestand er aus Blättern, die wie Papierreben aussahen, jedoch flachgedrückt und nicht zusammengeflochten. Darauf waren Zeichen. Mau konnte sie nicht lesen, aber Daphne strich mit dem Finger darüber hinweg und sagte laut:
    Die Vögel des Großen Südlichen Pelagischen Ozeans, von Colonel H. j. Hookwarm, M.R.H., F.R.A.
    Mit sechzehn handkolorierten Illustrationen des Autors Dann wendete sie das Blatt…
    Mau hielt die Luft an. Ihre Worte waren in seinen Ohren unverständliches Geplapper, aber er kannte die Sprache der Bilder … Das war ein Großvatervogel! Da, auf dem Blatt! Und er sah wie in Wirklichkeit aus! In wunderschönen Farben! Niemand auf der Insel hatte jemals solche Farben herstellen können, und auch von anderswo konnte man sie nicht einhandeln. Es sah aus, als hätte jemand einen Großvatervogel aus der Luft gezogen!
    »Wie wird das gemacht?«, fragte er.
    Das Daphne-Mädchen tippte mit einem Finger darauf. »Pantalonvogel«, sagte sie. Dann sah sie Mau erwartungsvoll an. Sie zeigte auf ihren Mund und machte dann eine schnappende Bewegung mit Daumen und Zeigefinger.
    Was sollte das bedeuten, fragte sich Mau. »Ich werde ein Krokodil essen?«
    »Pan-taa-Iooon-vooo-gelll«, sagte sie sehr langsam.
    Sie hält mich für ein Baby, dachte Mau. So redete man mit kleinen Kindern, damit sie einen auch ganz genau verstehen konnten. Sie will, dass ich es sage!
    »Pan-taaa-Ion…

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