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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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ihrer Reise gesehen hatte. Manche bestanden aus kaum mehr als einem Riff mit einer Sandbank. Konnte im Umkreis von hundert Meilen noch irgendjemand überlebt haben? Wovor hatte er Angst?
    Mau starrte auf das Meer. Die ganze Nacht war es so glatt gewesen, dass sich der Sternenhimmel darin gespiegelt hatte.
    Irgendwo da draußen flog ihm vom Rand der Welt der morgige Tag entgegen. Er hatte keine Ahnung, welche Gestalt er annehmen würde, aber Mau begegnete ihm mit Vorsicht. Sie hatten Feuer und Nahrung, aber das war noch nicht genug. Man brauchte Wasser, Nahrung, eine Unterkunft und eine Waffe, sagten die Leute. Und sie glaubten nur deshalb, dass man mehr nicht brauchte, weil das Wichtigste für sie selbstverständlich war. Nämlich ein Ort, wo man hingehörte.
    Er hatte die Menschen der Nation nie gezählt. Es waren… genug. Genug, um das Gefühl zu haben, dass man Teil von etwas war, das viele vergangene Tage gesehen hatte und viele künftige Tage sehen würde, dass es Regeln gab, die jeder kannte und auf die man sich verlassen konnte, gerade weil jeder sie kannte. Sie gehörten einfach fest zu der Welt, in der die Menschen lebten.
    Menschen wurden geboren und starben, aber die Nation bestand fort. Er hatte mit seinen Onkeln lange Reisen unternommen, über viele hundert Meilen, aber die Nation war die ganze Zeit da gewesen – irgendwo hinter dem Horizont – und wartete auf seine Rückkehr. Das hatte er ganz deutlich gespürt.
    Was sollte er mit dem Geistermädchen machen? Vielleicht kam bald ein anderer Hosenmensch, der nach ihr suchte. Sie würde mit ihm gehen, und Mau wäre wieder ganz allein. Allein die Vorstellung fühlte sich schrecklich an. Nicht die Geister jagten ihm Angst ein, sondern die Erinnerungen. Aber vielleicht war es auch dasselbe. Wenn eine Frau jeden Tag denselben Weg ging, um am Wasserfall ihre Kalebasse zu füllen, erinnerte sich der Weg daran?
    Sobald Mau die Augen schloss, war die Insel voller Menschen.
    Erinnerte sich die Insel an ihre Schritte und ihre Gesichter und sandte sie die Bilder in seinen Kopf? Die Großväter sagten, dass er die Nation war, aber das konnte nicht stimmen. Aus vielen konnte einer werden, aber aus einem konnten niemals viele werden. Dennoch würde er sich an sie erinnern, und wenn andere Menschen hierherkamen, würde er ihnen von der Nation erzählen, und dadurch würde er sie wieder zum Leben erwecken.
    Er war froh, dass das Mädchen hier war. Ohne sie würde er sich dem dunklen Wasser anvertrauen. Er hatte das Flüstern gehört, als er ihrem Schweif aus silbrigen Blasen hinterhergetaucht war.
    Es wäre so einfach gewesen, sich von den listigen Worten Locahas überzeugen zu lassen und in der Finsternis zu versinken – aber dann wäre auch sie ertrunken.
    Er wollte hier nicht allein sein. Und das wird auch nicht geschehen. Nur er und die Stimmen der alten, toten Männer, die ihm ständig Befehle erteilten und ihm nie zuhörten? Nein.
    Nein… sie würden hier zu zweit leben und bleiben, und er würde ihr die Sprache beibringen, damit sie sich gemeinsam erinnern konnten. Und wenn Menschen hierherkamen, konnten sie ihnen sagen: Einst lebten hier viele Menschen, und dann kam die Welle.
    Er hörte, wie sie sich rührte, und wusste, dass sie ihn beobachtete. Und er wusste noch etwas – nämlich, dass die Suppe sehr verlockend roch und dass er sie für sich selbst wahrscheinlich nicht zubereitet hätte. Sie bestand aus ein paar Weißfischen vom Riff und einer Handvoll Muscheln und etwas Ingwer aus dem Frauenhain und ein wenig fein geschnittenem Taro, um dem Ganzen Substanz zu geben.
    Er benutzte zwei Äste, um den Topf aus der Glut zu ziehen, und reichte dem Mädchen eine große Muschelschale als Löffel.
    Dann wurde es… komisch. Hauptsächlich, weil beide auf die Suppe pusteten, damit sie abkühlte, und Daphne sehr überrascht wirkte, dass Mau die Fischgräten einfach ins Feuer spuckte, während sie jede einzelne sehr vorsichtig in ein verziertes Tuch hüstelte, das von Sand und Salz ganz steif geworden war. Einer von ihnen fing an zu kichern, oder vielleicht auch beide gleichzeitig, und dann musste Mau so heftig lachen, dass er die nächste Gräte nicht mehr ausspucken konnte. Stattdessen hustete er sie in seine Hand, aber mit dem gleichen Laut, den Daphne dabei von sich gab und der wie »äh-püh« klang.
    Beinahe hätte sie sich verschluckt, doch es gelang ihr, so lange nicht zu lachen, dass sie die nächste Gräte ins Feuer spucken konnte – wobei sie sich

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