Eine Insel
Mann bestand nur aus Haut und Knochen – und noch dazu mit weitaus mehr Knochen als Haut. Mau half ihm, die Frau und das Baby zum Lagerfeuer zu tragen, wo er sie auf die Decke legte. Zuerst dachte er, die Frau sei tot, doch dann zuckte es um ihre Lippen.
»Sie braucht Wasser«, krächzte der alte Mann, »und das Kind braucht Milch! Wo sind eure Frauen? Sie wissen, was zu tun ist!«
Daphne kam mit wippendem Sonnenschirm angelaufen.
»Ach, diese armen Menschen!«, rief sie.
Mau nahm der Frau das Baby ab. Sie machte einen schwachen Versuch, es festzuhalten, doch Mau reichte es an das Mädchen weiter.
Er hörte ein »Ach, ist er nicht reizend!… Äh… oh, nein«, während er zum Fluss rannte und mit zwei Kokosnüssen zurückkehrte, die er bis zum Rand mit Wasser gefüllt hatte, das immer noch nach Asche schmeckte.
»Wo sind die anderen Frauen?«, fragte der alte Mann, als Daphne das tropfende Baby auf Armeslänge von sich weghielt und sich verzweifelt nach einer Stelle umsah, wo sie es ablegen konnte.
»Hier ist nur diese eine«, sagte Mau.
»Aber sie ist eine Hosenmenschenfrau! Das sind keine richtigen Menschen!«, sagte der alte Mann.
Das war Mau neu. »Hier gibt es nur uns beide.«
Der alte Mann war niedergeschlagen. »Aber hier lebt doch die Nation!«, jammerte er. »Eine Insel aus Fels, die von den Göttern gesegnet ist! Ich bin hier als Priester ausgebildet worden.
Die ganze Zeit, während ich paddelte, dachte ich: Die Nation hat überlebt! Und jetzt gibt es hier nur einen Jungen und ein verfluchtes Mädchen von den ungebackenen Menschen?«
»Ungebacken?«
»Hat man dir denn überhaupt nichts beigebracht? Imo schuf sie zuerst, aber da hatte Er noch keine Erfahrung und ließ sie nicht lange genug in der Sonne. Und du wirst feststellen, dass sie auch noch stolz darauf sind und ihre Körper vor der Sonne bedecken. Außerdem sind sie wirklich sehr dumm.«
Sie haben mehr Farben als wir, dachte Mau, aber er sprach es nicht aus.
»Ich heiße Mau«, sagte er – damit würde er wenigstens keinen Streit auslösen.
»Und ich muss mit deinem Häuptling sprechen. Lauf, Junge!
Sag ihm meinen Namen. Er hat vielleicht schon von dem Priester Ataba gehört.« Sein letzter Satz hatte einen traurigen, aber hoffnungsvollen Unterton, als würde der alte Mann diesen Fall für nicht sehr wahrscheinlich halten.
»Hier gibt es keinen Häuptling. Seit der Welle nicht mehr.
Sie hat das Hosenmenschenmädchen hergebracht, und alle anderen… hat sie fortgespült. Das habe ich dir doch gesagt, Priester.«
»Aber dies ist eine so große Insel!«
»Ich glaube nicht, dass sich die Welle darum geschert hat.«
Das Baby weinte. Daphne wollte es liebkosen, ihm aber nicht zu nahe kommen, und bemühte sich peinlich berührt, es zum Schweigen zu bringen.
»Dann wenigstens ein älterer Mann…«, setzte Ataba an.
»Sonst gibt es hier niemanden«, erklärte Mau geduldig. »Nur mich und das Hosenmenschenmädchen.« Er fragte sich, wie oft er das wohl noch wiederholen musste, bis der alte Mann es schaffte, diese Vorstellung in seinem kahlen Schädel unterzubringen.
»Nur dich?«, fragte Ataba mit verstörter Miene.
»Glaub mir, manchmal kann ich es selbst nicht fassen«, sagte Mau. »Dann denke ich, dass ich gleich aufwachen werde, und alles war nur ein Traum.«
»Ihr habt die wunderbaren, weißen Gottesanker«, sagte der alte Mann. »Ich wurde als kleiner Junge hierher gebracht, um sie zu sehen, und das war der Tag, an dem ich beschloss, Prie…«
»Ich denke, ich sollte diesen kleinen Jungen seiner Mami wiedergeben«, sagte Daphne hastig. Mau verstand die Worte nicht, aber ihr entschiedener Ton sprach für sich. Das Baby schrie jetzt.
»Seine Mutter kann es nicht stillen«, sagte Ataba zu Mau. »Ich habe sie zusammen mit dem Kind auf einem großen Floß gefunden. Erst gestern. Es war mit Nahrung beladen, aber sie wollte nicht essen, und das Kind nimmt keine Milch von ihr an.
Es wird bald sterben.«
Mau betrachtete das kleine, weinende Gesicht und dachte: Nein. Geschieht nicht.
Er suchte Daphnes Blick, zeigte auf das Baby und machte Kaubewegungen mit dem Mund.
»Ihr esst Babys?«, sagte Daphne und wich zurück. Mau verstand ihren entsetzten Tonfall und beeilte sich, ihr pantomimisch begreiflich zu machen, dass es das Baby war, das essen musste.
»Was?«, sagte Daphne. »Es füttern? Womit?«
Daphne wurde knallrot. »Was? Nein! Wie kannst du es wagen!
Du musst…« Dann zögerte sie. Diesbezüglich war sie ein wenig
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