Eine Insel
seines Herrchens beschwichtigen ließ. Das Zischen wurde leiser, die Blasen wurden kleiner, und dann klärte sich die einst trübe Brühe.
Cahle sang weiter und schlug mit ihren Händen den Takt.
Aber ihre Hände taten gleichzeitig noch mehr: Sie zeichneten Formen in die Luft, die zu der Musik gehörten. Das Bierlied bestand aus vielen kleinen Strophen, zwischen denen jedes Mal der gleiche Refrain folgte. Also sang Daphne irgendwann mit und bewegte dazu die Hände. Sie hatte das Gefühl, dass sich die Frau darüber freute, denn sie beugte sich zu ihr, ohne den Gesang zu unterbrechen, und zeigte Daphne die richtige Fingerhaltung.
Eigenartige Wellen wie Ölschlieren glitten über das Zeug in der Schale, das mit jeder Strophe klarer wurde. Cahle beobachtete es aufmerksam, klatschte weiter… und hörte dann auf.
Die Schale war mit flüssigem Diamant gefüllt. Das Bier glitzerte wie das Meer. Eine letzte Welle breitete sich darin aus. Cahle tauchte eine Muschelschale hinein und bot sie Daphne mit aufforderndem Nicken an.
Eine Ablehnung wäre sicher dem gleichgekommen, was Großmutter als Fauxpas bezeichnete. Schließlich gab es immer noch so etwas wie gute Manieren. Andernfalls könnte sich jemand beleidigt fühlen, und das kam einfach nicht in Frage.
Sie probierte das Gebräu. Es fühlte sich an, als würde sie Silber trinken, und ihre Augen tränten davon.
»Für Mann! Ehmann!«, sagte Cahle grinsend. »Für wenn zu viel Ehmann!« Sie legte sich auf den Rücken und gab laute Schnarchgeräusche von sich. Sogar die Unbekannte Frau lächelte.
Daphne dachte: Ich lerne neue Dinge. Hoffentlich finde ich bald heraus, was ich da eigentlich lerne.
Am nächsten Tag fand sie es heraus. In einer Sprache, die sich aus wenigen Worten und dafür umso mehr Lächeln, Nicken und Gestik zusammensetzte – darunter äußerst peinliche Gesten, über die Daphne eigentlich hätte schockiert sein müssen, nur dass es hier auf dieser sonnigen Insel einfach ohne Sinn und Zweck gewesen wäre –, lehrte Cahle sie jene Dinge, die sie wissen musste, wenn sie einen Ehemann bekommen wollte.
Sie wusste, dass sie nicht lachen sollte, und gab sich größte Mühe, es nicht zu tun, aber sie konnte dieser Frau einfach nicht begreiflich machen, dass ihre Methode, einen Ehemann zu bekommen, darin bestand, einen sehr reichen Vater zu haben, der als Gouverneur über viele Inseln regierte. Außerdem war sie sich gar nicht so sicher, ob sie wirklich einen haben wollte, da Ehemänner scheinbar sehr viel Arbeit machten. Und nachdem sie die Geburt von Leitstern miterlebt hatte, war sie absolut sicher, dass sie sich, falls sie jemals Kinder haben wollte, bereits fertige kaufen würde.
Aber so etwas durfte sie natürlich nicht zu den frischgebackenen Müttern sagen, selbst wenn sie es gekonnt hätte. Also bemühte sie sich zu verstehen, was Cahle ihr zu erklären versuchte. Sie ließ sich sogar von der namenlosen Frau das Haar zurechtmachen, was dieser große Freude bereitete, obwohl Daphne fand, dass es zwar sehr hübsch aussah, aber viel zu erwachsen für eine Dreizehnjährige. Ihre Großmutter würde es nicht gutheißen, in Kursivschrift, jedoch war das andere Ende der Welt vermutlich selbst für ihren wachsamen Blick zu weit entfernt.
Außerdem konnte jeden Moment das Schiff ihres Vaters in Sicht kommen. Das stand jedenfalls fest. Er brauchte nur etwas Zeit, weil er so viele Inseln absuchen musste.
Aber was wäre, wenn er nicht kam?
Diesen Gedanken verdrängte sie sofort aus ihrem Kopf. Doch er kehrte gleich wieder zurück. Sie ahnte, dass dahinter noch weitere Gedanken lauerten, die ihr schwer zusetzen würden, wenn sie es wagte, sie zu denken.
Am Tag nach Leitsterns Geburt waren noch mehr Menschen eingetroffen, ein kleiner Junge namens Oto-I und eine verhutzelte, alte Dame, die beide völlig ausgedörrt und hungrig waren.
Die alte Dame war nicht größer als der Junge und hatte einen Winkel in einer Hütte mit Beschlag belegt, wo sie alles aß, was man ihr brachte, und Daphne mit ihren kleinen, hellen Augen beobachtete. Cahle und die anderen behandelten sie mit großem Respekt und redeten sie mit einem langen Namen an, den Daphne nicht aussprechen konnte. Sie nannte sie einfach Mrs. Glucker, weil ihr Bauch so unglaublich laut gluckerte, und es war stets ratsam, sich nicht in ihrem Windschatten aufzuhalten.
Oto-I hatte sich in einem Tempo erholt, wie es für Kinder wohl typisch war, und so schickte sie ihn zu Ataba, damit er dem alten Mann
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