Eine Insel
eine gute Pantomimin. Daphne war sich zwar immer noch nicht sicher, ob einem von den kleinen, braunen Nüssen an dem Baum mit den roten Blättern übel wurde oder ob sie gegen Übelkeit halfen, aber sie wollte sich unbedingt alles merken. Sie hatte ein fast abergläubisches Verhältnis zu den nützlichen Dingen, die man ihr beibrachte, zumindest außerhalb der Schulstunden.
Ganz bestimmt würde sie dieses Wissen eines Tages gut gebrauchen können. Es war ein Test, mit dem die Welt prüfte, ob man im Leben auch gut aufpasste.
Aufmerksam verfolgte sie Cahles Erklärungen, wenn sie ihr Pflanzen zeigte, aus denen man Mahlzeiten zubereiten konnte. Das schien für die Frau sehr wichtig zu sein, also behielt Daphne lieber für sich, dass sie in ihrem ganzen Leben noch nie etwas gekocht hatte. Und schließlich lernte sie auch noch, ein bestimmtes Getränk zu brauen – Cahle bestand sogar darauf. Das Zeug roch wie der Teufelstrank – die Wurzel allen Übels.
Daphne wusste das deshalb so genau, weil ihr Butler Biggleswick eines Nachts in Vaters Arbeitszimmer eingebrochen war, sich schändlich am Whisky berauscht und dann das gesamte Haus mit seinem feuchtfröhlichen Gesang geweckt hatte.
Großmutter ließ ihn auf der Stelle hinauswerfen und wollte auch keine Gnade walten lassen, als Daphnes Vater ihr erklärte, dass Biggleswicks Mutter am selbigen Tag gestorben war. Die Lakaien schleiften ihn aus dem Haus zu den Ställen und warfen den weinenden Mann ins Stroh, wo die Pferde versuchten, ihm die Tränen vom Gesicht zu lecken, nur des Salzes wegen.
Daphne war erschüttert gewesen, weil sie Biggleswick gemocht hatte, vor allem, wie er mit nach außen gestellten Füßen lief und dadurch den Eindruck erweckte, als könnte er sich jeden Moment in zwei Hälften teilen. Doch am meisten hatte dieser Vorfall sie aufgeregt, weil sie schuld daran gewesen war, dass er seine Arbeitsstelle verlor. Großmutter hatte sich wie eine uralte Götterstatue auf dem Treppenabsatz in Pose gebracht, auf Daphne gezeigt (die alles interessiert vom Geländer im oberen Stockwerk beobachtet hatte) und ihren Vater angeschrien:
»Willst du etwa untätig herumstehen, wenn dein einziges Kind derartigen Entgleisungen ausgesetzt wird?«
Und damit hatte der Butler ausgedient. Daphne war sehr traurig gewesen, dass er gehen musste, weil er sie immer freundlich behandelt hatte und sie seinen Watschelgang schon recht gut imitieren konnte. Später hörte sie am Speiseaufzug, dass er ein »Böses Ende« gefunden hatte. Und alles nur wegen des Teufelstranks.
Doch dann wiederum wollte sie schon immer wissen, wie dieser Teufelstrank wohl sein mochte, nachdem ihre Großmutter so oft davon gesprochen hatte. Der spezielle Teufelstrank der Insel wurde sehr sorgfältig und methodisch aus einer roten Wurzel hergestellt, die in einer Ecke des Gartens wuchs. Cahle schälte sie besonders vorsichtig und wusch sich sofort und gründlich die Hände im Bach. Dann wurde die Knolle mit einem Stein zerstampft, und hinzukam eine Handvoll kleiner Blätter. Cahle starrte die Schale eine Weile an und fügte dann vorsichtshalber ein weiteres Blatt hinzu. Und schließlich kam noch etwas Wasser aus einem Flaschenkürbis hinzu, wobei achtgegeben werden musste, dass es nicht spritzte, und dann wurde die Schale bis zum nächsten Tag einfach in ein Regal gestellt.
Am darauffolgenden Morgen hatte sich der Inhalt der Schale in einen brodelnden, giftgelben Schaum verwandelt. Daphne wollte hinaufsteigen und herausfinden, ob das Zeug genauso übel roch, wie es aussah, doch Cahle zog sie sanft, aber entschieden zurück und schüttelte nachdrücklich den Kopf.
»Nicht trinken?«, fragte Daphne.
»Nicht trinken!«
Cahle nahm die Schale vom Regal und stellte sie in die Mitte der Hütte. Dann spuckte sie hinein. Eine Dampfwolke stieg bis zum Strohdach der Hütte auf, und die brodelnde Mixtur in der Schale zischte noch wilder.
Das war jedenfalls ganz und gar nicht mit den Sherry-Nachmittagen ihrer Großmutter zu vergleichen, dachte Daphne, die den Vorgang schockiert, aber auch fasziniert beobachtete.
Dann sang Cahle. Es war ein fröhliches Liedchen mit einer Melodie, die einem nicht mehr aus dem Kopf ging, auch wenn man die Worte nicht verstand. Sie tänzelte durch die Luft, und es war sofort klar, dass sie sich wie klebriger Sirup in den Gehirnwindungen festsetzen würde.
Cahle sang für das Bier. Und das Bier hörte zu. Es kam zur Ruhe wie ein aufgeregter Hund, der sich durch die Stimme
Weitere Kostenlose Bücher