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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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über die Insel hinweggeflogen waren. Die Menschen brauchten Zeit, um das Nun zu verarbeiten, bevor es sich zurückziehen und zum Damals werden konnte. Und was sie dazu am meisten brauchten, war eine gewisse Ruhe.
    Und hier bin ich nun und betrachte den weiten Horizont, dachte Daphne, die blaue Fläche, die sich bis zum Ende der Welt erstreckt. Mein Gott, Vater hatte recht. Wenn mein Horizont noch weiter wäre, müsste man ihn in der Mitte zusammenfalten.
    Was für eine seltsame Redensart, »den Horizont erweitern«.
    Schließlich gab es nur den einen Horizont, der sich von einem immer weiter weg bewegte, so dass man ihn nie erreichen konnte. Man kam immer nur dorthin, wo er zuvor gewesen war. Auf der ganzen Welt hatte sie schon das Meer betrachtet, und der Horizont hatte überall so ziemlich gleich ausgesehen.
    Oder war es genau andersherum? Nicht der Horizont verändert oder bewegt sich – sondern ich mich.
    Sie konnte kaum glauben, dass sie vor Urzeiten dem armen Jungen Brötchen serviert hatte, die wie totes Holz mit verwestem Hummer schmeckten! Dann hatte sie auch noch wegen fehlender Servietten einen Aufstand gemacht! Und mit Captain Roberts’ uralter Pistole hatte sie sogar versucht, auf ihn zu schießen, was in jedem Benimmbuch als äußerst unmanierliches Verhalten gelten würde.
    Doch wer war sie wirklich? Die Daphne von damals oder jene von heute, die in dem geschützten Garten, im Frauenhain die Unbekannte Frau neben der Badestelle beobachtete, die ihren kleinen Sohn fest an sich gedrückt hielt wie ein junges Mädchen, das seine Lieblingspuppe nicht loslassen wollte, so dass Daphne sich schon fragte, ob sie ihn ihr abnehmen sollte, damit er für eine Weile wieder etwas Luft bekam.
    Daphne hatte den Eindruck, die Männer glaubten, alle Frauen würden die gleiche Sprache sprechen. Das hatte sie albern und sogar etwas ärgerlich gefunden, aber sie musste zugeben, dass hier im Hain »Baby« gesprochen wurde. Das war die gemeinsame Sprache. Wahrscheinlich gab jeder gegenüber einem Baby die gleichen merkwürdigen Laute von sich, überall auf der Welt.
    Irgendwoher wissen wir, dass es so richtig ist. Höchstwahrscheinlich wird es niemand auf der Welt für richtig halten, sich leise an ein Kleinkind heranzuschleichen und dann mit einem Hammer auf ein Stück Blech zu schlagen.
    Und plötzlich wurde das alles hochinteressant. Wenn sie gerade nichts zu tun hatte, beobachtete Daphne die beiden Babys ganz genau. Sobald sie nicht mehr gestillt werden wollten, drehten sie den Kopf weg, aber wenn sie Hunger hatten, wippten die kleinen Köpfe vor und zurück. Und das war doch beim Kopfschütteln für »Nein« und dem Nicken für »Ja« genauso. Hatten diese Gesten vielleicht dort ihren Ursprung? Waren sie überall auf der Welt gleich? Wie finde ich das heraus? Sie nahm sich vor, diesen Gedanken niederzuschreiben.
    Mittlerweile machte sie sich wirklich große Sorgen um die Mutter des Babys, dem Daphne insgeheim den Namen Schweinejunge gegeben hatte. Zwar saß sie jetzt aufrecht, lief manchmal herum und lächelte sogar, wenn man ihr zu essen gab, aber irgendetwas fehlte. Sie spielte auch nicht so oft mit ihrem Baby wie Cahle. Sie ließ es von Cahle stillen, weil offenbar noch irgendeine Lampe in ihrem Kopf flackerte, die ihr sagte, dass es keinen anderen Weg gab. Doch anschließend schnappte sie es sich sofort wieder und verschwand in der dunklen Ecke einer Hütte wie eine Katze mit ihren Jungen.
    Cahle war bereits hier und dort beschäftigt und hatte immer ihr Baby unter dem Arm. Manchmal reichte sie es Daphne, wenn sie beide Hände brauchte. Anscheinend wusste sie bei Daphne nicht so recht, woran sie war, doch sie bemühte sich trotzdem, ihr respektvoll zu begegnen. Wenn sich ihre Blicke trafen, lächelten sie einander nur vorsichtig zu, als wollten sie sagen:
    »Wir kommen miteinander zurecht, zumindest hoffe ich es.«
    Und manchmal zeigte Cahle auf die andere Frau und tippte sich traurig gegen die Stirn. Diese Geste brauchte keine Übersetzung.
    Jeden Tag brachte einer der Männer Fisch zum Hain, und Cahle zeigte Daphne die Pflanzen im Garten. Hauptsächlich wurden sie wegen ihrer Wurzelknollen angebaut, aber es gab auch ein paar Gewürzpflanzen, einschließlich eines Chili-Krauts. Danach musste Daphne ihren Mund drei Minuten lang in den plätschernden Bach halten, aber es ging ihr anschließend ausgesprochen gut. Einige der Pflanzen dienten Heilzwecken, soweit sie alles richtig verstanden hatte. Doch Cahle war

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