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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Zapperi
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Jahre später in der gleichen Jahreszeit wieder einmal in diesen Park kam, waren sie verschwunden. Dann hörte ich, dass die Glühwürmchen vom Aussterben bedroht seien. Auch in ländlichen Gegenden lassen sie sich bei Sommerbeginn, der Zeit ihrer Liebe, immer seltener blicken. Der unaufhaltsame technische Fortschritt, der jeden Tag mehr vom Erbe der Natur zerstört, bringt auch sie zum Erlöschen.
    Die Bauern des Dorfs waren Eigentümer der nicht sehr großen Felder, auf denen sie vermischt Mais und weiße Bohnen anbauten. Sie hatten viel Wasser aus dem nahen kleinen Fluss zur Verfügung, das in Kanäle geleitet wurde. An einer Stelle war dieses Flüsschen so breit und tief, dass man darin baden konnte. Das taten schon die Jungen aus dem Dorf, denen ich mich anschloss. Sie hatten nichts gegen mich, so dass ich oft mit ihnen baden ging. Auch ein paar größere Burschen aus einem Nachbardorf kamen hierher zum Baden. Doch eines Tages begannen sie uns mit Steinen zubewerfen, und damit fing ein neues Kriegsspiel an, nicht mit Stöcken, die Gewehre vorstellen sollten, sondern mit härteren Geschossen, die weh tun konnten. Ein Stein traf mich bei diesen Gefechten am Kopf und hat eine sichtbare Narbe hinterlassen. Dennoch bildeten solche Kriegsspiele für uns Jungen immer eine unwiderstehliche Attraktion.
    Nach ein paar Monaten kam eine weitere Flüchtlingsfamilie aus Catania ins Dorf. Mein Vater kannte sie und hatte sie dort ein Haus mieten lassen. Gegenüber den Toskanern kamen sie mir geradezu wie Höhlenbewohner vor. Ich schämte mich, aus der gleichen Stadt wie diese Leute zu kommen, verachtete sie von Herzen und wollte nie mit den Kindern, die in meinem Alter waren, spielen. Ich merkte sofort, dass sie sich nicht mit den Dorfbewohnern verständigen konnten, denn sie beherrschten nur den sizilianischen Dialekt, der für die Toskaner völlig unverständlich war. Dagegen sprach ich selbst dank meinem Lehrer in Catania sehr gut Italienisch und hatte deshalb überhaupt keine Verständigungsschwierigkeiten. Wie bekannt, leitet sich das moderne Italienisch vom Toskanischen her, mit dem es immer noch große Ähnlichkeit hat. Tatsache war, dass die Familie aus Catania einfach einen falschen Ton ins Dorfleben brachte. Die Dorfgemeinschaft in Antraccoli hatte nicht nur einen guten Zusammenhalt, sondern war trotz aller ihrer Beschränktheit doch eine reifere Gesellschaft ohne jenes gravierende Defizit an Gemeinsinn, das in der Stadt Catania herrschte.
    An der Landstraße, die das Dorf mit Lucca verband, lag eine kleine mit Elektrizität betriebene Mühle, in der Korn gemahlen wurde. Das Mehl wurde zum größten Teil an einige Bäcker von Lucca, die Stammkunden waren, geliefert. Mitdem jungen Mann, der es auf einem Pferdefuhrwerk in die Stadt transportierte, freundete ich mich an in der Absicht, mich von ihm mitnehmen zu lassen. So konnte ich ihn mehrmals in die Stadt begleiten und sah zu, wie er die Mehlsäcke ablud und bei den Bäckern ablieferte. Einer hatte seinen Bäckerladen in der engen Via Fillungo, wo morgens großer Betrieb herrschte, aber noch nicht flaniert wurde. Auf diese Weise lernte ich die Stadt immer besser kennen.
    Lucca, Via Fillungo
    Am 23. Juli 1943 sendete das Radio die Nachricht, dass König Vittorio Emanuele III. Italien mit einem Staatsstreich von der faschistischen Herrschaft befreit und Mussolini gefangen genommen hatte. Der Fall des Faschismus löste in ganz Italien beim Volk große Begeisterung aus. In Rom strömten die Menschen auf die Straße, und viele liefen zum Gefängnis «Regina Coeli», um die dort eingekerkerten Antifaschisten zu befreien. Der auch in Deutschland bekannte Schriftsteller Corrado Alvaro – mehrere seiner Bücher sind ins Deutsche übersetzt worden – hielt sich damals in Rom auf und führte Tagebuch. Diese Aufzeichnungen sind ein unmittelbares Zeugnis von größtem Interesse, denn sie schildern sehr anschaulich die Atmosphäre in der Stadt mit allen ihren Licht- und Schattenseiten. Seiner Feder verdankt sich eine eindrucksvolle Beschreibung des Jubels im römischen Volk über die wiedergewonnene Freiheit. Ich glaube, wir sollten ihm das Wort geben: «Am 25. Juli viel Gesindel auf der Straße, Verheerungen in Amtsstuben, Diebstahl von Schreibmaschinen dort und von öffentlichen Uhren und Türgriffen der Autobusse. Aber da waren auch viele Frauen aus dem Volk, solche, die ihr ganzes Leben lang zu leiden haben, die waren voller Leben und einen Tag lang wirklich glücklich. Eine

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