Eine italienische Kindheit
und bot eine ausgezeichnete Verpflegung. Die Mahlzeiten wurden in einem großen Speisezimmer eingenommen. Der Inhaber der Pension saß dabei am oberen Tischende und unterhielt sich mit seinen Gästen. Kurz vor unserer Ankunft war in Florenz der berühmtefaschistische Philosoph Giovanni Gentile von einem kommunistischen Kommando ermordet worden. Er war eine bekannte und angesehene Persönlichkeit gewesen und hatte über lange Jahre die intellektuelle Szene Italiens beherrscht. Seit Mussolini ihn zum Präsidenten der «Accademia d’Italia» ernannt hatte, lebte er in Florenz, wohin er von Rom umgezogen war. Die Nachricht von seiner Ermordung löste große Bestürzung aus, unser Pensionsbesitzer befürchtete sogar schwere nazifaschistische Repressalien. Darin irrte er sich nicht, denn in Florenz wurde der Kampf zwischen Partisanen und Faschisten mit besonderer Härte ausgetragen, ganz im alten Geist der blutigen Parteienkämpfe, der seit eh und je die politischen Auseinandersetzungen in der Stadt gekennzeichnet hatte. Sonst aber sprach er oft über seine Lektüren, wobei er hervorhob, dass er nicht nur italienische Bücher, sondern auch französische und englische in der Originalsprache las. In Friedenszeiten war Florenz bekanntlich beliebtes Ziel eines elitären Tourismus gewesen. Viele Ausländer kamen in die Stadt, und deshalb wundert es nicht, dass auch die Kenntnis dieser beiden Fremdsprachen verbreitet war. Unser Gastgeber war ein gebildeter Mann, der es liebte, nach den Mahlzeiten im Salon die Konversation mit seinen Gästen fortzusetzen. Auch ich folgte ihm mehrmals in den Salon und konnte einen Blick auf seine gut bestückte Bibliothek werfen, deren sorgfältig eingebundene Bände in schöner Reihe hinter den Glasscheiben eleganter Bücherschränke standen.
Der Aufenthalt in Florenz gefiel mir über alle Maßen. Ich lief oft allein durch die Stadt und bestaunte den Palazzo della Signoria und den Dom mit dem berühmten Kampanile von Giotto. Dabei erinnerte ich mich, dass ich diesenTurm schon einmal während der Reise von Sizilien nach Lucca gesehen hatte, als wir Zwischenstation in Florenz machten. Damals waren wir drei Brüder bis ganz nach oben hinaufgeklettert und hatten aus der Höhe über die Dächer der Stadt geschaut. Mein Bruder Arturo hatte mit Kreide auch seinen Namen auf einen Dachbalken geschrieben. Um ins Zentrum zu gelangen, musste ich den großen Platz vor der Dominikanerkirche Santa Maria Novella überqueren. Dies tat ich wohl viermal am Tag, und jedes Mal schaute ich wieder auf die grandiose Fassade, aus deren Portalen manchmal Mönche traten. Ihre weißen Kutten mit den schwarzen Mänteln wiederholten die Farben der Fassade.
Einmal sah ich auf dem Platz einen Landauer stehen, eine elegante geschlossene Kutsche, innen gepolstert, einen Einspänner mit einem Anstrich vom 19. Jahrhundert. Ich machte mir Mut, und da mein Vater mich mit etwas Kleingeld versorgt hatte, stieg ich ein und ließ mich bis vor die Tür der Pension bringen. Öfter jedoch begleitete ich meinen Vater, der den ganzen Tag über immer sehr beschäftigt war, bei seinen Geschäftsgängen. Einmal ließ er mich morgens bei Bekannten zurück, und während ich bei ihnen war, heulten plötzlich die Sirenen los, um vor einem Luftangriff zu warnen. Wir flüchteten in den Hauseingang und hörten die Bomben krachen. Ich dachte an die verdammten «Fliegenden Festungen» und verlor das Bewusstsein. So sagte mir die Bekannte meines Vaters, als ich nach einigen Minuten wieder zu mir kam. Dies war die einzige Ohnmacht meines Lebens, aber der Bombenangriff, bei dem mein Bruder ums Leben gekommen war, hatte mich sehr mitgenommen. In einem Moment der Verwirrung hatten mich die typischen Schuldgefühle des Überlebenden glauben lassen, dass jetztauch meine Stunde gekommen und ich nach meinem Bruder an der Reihe sei. Kurz danach kam mein Vater angelaufen und brachte mich in die Pension zurück, wo er mich ins Bett legte, mir Mut zusprach und eine Weile bei mir blieb, so dass ich mich wieder erholte.
Am Ende unseres Florentiner Aufenthalts erwartete mich eine Überraschung. Die Rückreise machten wir nicht mehr mit dem alten Ford, sondern mit dem Transportmittel, das mein Vater gewöhnlich für seine Lieferungen nach Rom benutzte. Riesig war mein Erstaunen, als ich den großen Lastwagen der Wehrmacht sah, der uns nach Rom zurückbringen sollte! Er sah ähnlich aus wie die, welche das Foto auf dem Lungotevere beim Vatikan aufgereiht zeigt. Mein
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