Eine italienische Kindheit
Vater erzählte mir dann, dass einige deutsche Fahrer dieser Militärlaster mit einem römischen Spediteur in Verbindung stünden, für den sie gegen gute Bezahlung private Warensendungen nach Rom beförderten. Dieser sogar ziemlich reguläre Verkehr war umso erstaunlicher, weil er von Norden nach Süden erfolgte, in die Richtung, welche gewöhnlich die Waffen- und Versorgungstransporte der Wehrmacht nahmen, denn der Feind stand bekanntlich südlich von Rom. Die deutschen Lastwagenfahrer machten sich also eines nicht unerheblichen Vergehens schuldig. Wenn sie entdeckt worden wären, hätten sie ihre Schuld sicher schwer büßen müssen, denn die Gestapo hätte in diesem Fall zweifellos hart durchgegriffen. Um die Sache zu verschleiern, wurden deshalb zuerst die Wehrmachtsgüter geladen, aber etwas Platz frei gelassen, damit später auch die großen Säcke mit den privaten Sendungen untergebracht werden konnten – wie gesagt, gegen Bezahlung. Wo war das berühmte deutsche Pflichtbewusstsein (von dem ich zwar noch nichtswusste) geblieben? Später habe ich mich das manchmal gefragt. Auch weil ich in Deutschland einmal mit einem Herrn mittleren Alters ins Gespräch kam, der mir gestand, dass er sich immer mit Nostalgie an die Zeit erinnere, als er als junger Mann Soldat in Italien war. Auch er war damals Fahrer bei der Wehrmacht gewesen und hatte ein Menge Geld damit verdient, dass er, genauso wie ich es als Kind gesehen hatte, auf seinem Laster Güter von Italienern mittransportierte. Meine eigenen Erfahrungen fanden damit eine schöne Bestätigung.
Leider begnügten sich die deutschen Soldaten nicht damit, auf diese Art zu Geld zu kommen, sie besorgten es sich auch auf sehr viel schändlichere Weise. Der Schriftsteller Corrado Alvaro erzählt in seinem Tagebuch von mehreren wirklich bestürzenden Fällen, bei denen deutsche Soldaten arme Bauern um ihre Habseligkeiten brachten. Dies geschah 1944 in den Abruzzen, wo Alvaro sich versteckt hatte, weil er in Rom vom 25. Juli bis zum 8. September 1943 ein antifaschistisches Blatt herausgegeben hatte. In den Abruzzen kam er verschiedentlich in Kontakt mit deutschen Soldaten, was dadurch erleichtert wurde, dass er gut Deutsch sprach, da er sich in den zwanziger Jahren längere Zeit in Berlin aufgehalten hatte. Was er von den deutschen Soldaten schreibt, ist deshalb auch bemerkenswert, weil Alvaro, von je her ein überzeugter Gegner des Regimes, doch keinerlei negative Vorurteile gegenüber den Deutschen hegte, was bei Antifaschisten sehr selten war. Im April 1944 notierte er: «Die Deutschen, die in die Gegend kommen, verachten das Regime. Gewöhnlich erinnern sie sich an den ‹Herrn Professor›, und wenn sie wieder vorbeikommen, um an die Front zu gehen, lassen sie mich grüßen. Es sind alle, jedereinzelne von ihnen, arme Soldaten wie alle armen Soldaten auf der Welt. Einer kommt fast jede Woche und fragt, was es für Nachrichten gebe. Aber gewöhnlich ist nur von der Heimat, vom Zuhause, von der Mutter und der Frau, kurz, von den Angehörigen eines jeden die Rede.» Aber auf anderen Seiten seines Tagebuchs erzählt er auch weniger erbauliche Geschichten, so die von jenem deutschen Soldaten, der irgendwo geklaute Damenstrümpfe verkaufte, oder dem anderen, der eine offensichtlich gestohlene Goldkette am Hals trug. Die Abruzzen waren damals eine der ärmsten Regionen Italiens und Raubzüge in den armen Bauerndörfern deshalb besonders verwerflich. Dieses Verhalten schürte Groll bei der Bevölkerung, der sich bei Ankunft der britischen Befreier gewaltsam Luft machte. Alvaro erzählt, wie eine wütende Menge in einem dieser Abruzzendörfer einen deutschen Soldaten lynchte, der den Kontakt zu seiner auf dem Rückzug befindlichen Truppe verloren hatte. Alvaro sah den Toten im Leichenhaus und stellte fest, dass er höchstens neunzehn Jahre alt gewesen sein konnte. Im Tagebuch merkte er dazu an: «Dieser arme Soldat, der die Schuld und die Verbrechen seiner Nation büßt, ist Gegenstand von Reflexion.»
Lastwagen der Wehrmacht am Tiber in Rom
Doch zurück zu unserer Reise von Florenz nach Rom. Ich war sehr glücklich darüber, endlich einen deutschen Soldaten aus nächster Nähe zu sehen und vielleicht auch mit ihm sprechen zu können. Bei der Abfahrt stieg ich zum Fahrer, einem Mann mittleren Alters, in die Kabine und setzte mich zu ihm, neben mir nahm mein Vater Platz. Leider wurden meine Erwartungen enttäuscht, denn der Mann war sehr schweigsam. Er sprach kein Wort mit
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