Eine italienische Kindheit
mir. Offenbar konnte er kein Italienisch, und falls er doch ein paar Worte kannte,dann benutzte er sie nicht, nicht einmal zum Grüßen. Ich beobachtete ihn aufmerksam, aber er war nur ein gewöhnlicher Soldat, genauso wie die anderen auch, und hatte nichts Interessantes an sich außer der Uniform, die ich aufmerksam aus der Nähe prüfte. Während der langen Fahrt die meist leere Via Cassia entlang hielt er manchmal am Straßenrand an, um etwas zu essen. Ohne auszusteigen, zog er eine Scheibe dunkles Brot aus einer Tasche und öffnete eine dunkle runde Büchse, der er eine Art Butter entnahm – wahrscheinlich handelte es sich, wie mir später klar wurde, um Butterschmalz. Das strich er akkurat auf die Schnitte und aß sie bedächtig. Zur Mittagszeit machten wir eine längere Pause in einem Ort an der Strecke. Wir aßen dort alle zu Mittag in einem Wirtshaus, vor dem ein paar Tische im Freien standen, und da das Wetter schön war, drängten sich dort auch viele andere deutsche Soldaten, um dem guten Wein der Gegend zuzusprechen. Ich erinnere mich noch gut an zwei große, dicke Kerle mit einer, wenn ich mich nicht irre, merkwürdigen dunkelblauen Uniform und großen Pistolen am Gürtel. Ich wusste nicht, zu welcher Truppengattung sie gehörten. Sie sahen böse aus und waren vielleicht Angehörige der SS. Auf der letzten Etappe unserer Reise setzte uns der Fahrer hinten auf die Säcke, wahrscheinlich damit wir bei der Ankunft in Rom nicht zu sehr ins Auge fielen, denn es war sicher nicht opportun, italienische Zivilisten mit in der Kabine reisen zu lassen. Dort, wo wir zu Mittag speisten, baten zwei Frauen den Fahrer, sie eine Strecke mitzunehmen, was dieser erlaubte. Sie dankten ihm wortreich und kletterten mit ihrem Gepäck hinten zu uns auf den Lastwagen, stiegen aber schon bald wieder unter vielen Dankesbezeigungen in einem Dorf aus. In Rombrachte uns der Fahrer zum Sitz der Spedition an der Piazza Nicosia nahe der Engelsbrücke. Hier war ich öfter schon mit meinem Vater gewesen, ohne jedoch zu ahnen, auf welche Weise er seine Waren zu befördern pflegte. Wir stiegen aus, und zusammen mit uns wurden auch die Säcke abgeladen. So endete das Abenteuer meiner Reise nach Florenz.
7. Rom
Es blieb mir die Enttäuschung zurück, dass ich nicht einmal ein paar Worte mit dem deutschen Lastwagenfahrer hatte wechseln können. Dann merkte ich, dass zuweilen nachmittags in der Oper, auf deren Seiteneingang wir von unserer Wohnung aus blicken konnten, Vorstellungen für die deutschen Soldaten gegeben wurden. Bei diesen Gelegenheiten füllte sich die Straße vor unserem Haus mit den Limousinen der Offiziere, die dort parkten und auf das Ende der Vorstellung warteten. Die Fahrer standen auf dem Trottoir herum und redeten miteinander. Für mich bot sich also eine neue Gelegenheit, mit Deutschen in Kontakt zu kommen und mit ihnen zu sprechen. Jedes Mal, wenn ich sie unten warten sah, lief ich hinunter, ging auf sie zu und versuchte ein Gespräch anzufangen. Sie waren immer sehr freundlich zu mir, konnten gewöhnlich auch etwas Italienisch und redeten bereitwillig mit einem Jungen, der sich so brennend für sie interessierte. Dies geschah mehrere Male, und immer behandelten sie mich gut und schenkten mir manchmal auch ein paar Bonbons. Ich erinnere mich nicht, worüber wir sprachen, aber für mich war es eine große Genugtuung. Während der langen Frühjahrsmonate, während derer wir in der Via Firenze darauf warteten, dass die Alliierten kamen und der Krieg endlich zu Ende ging, war oft von der Belagerung der Abtei Montecassino die Rede. Alle waren davonüberzeugt, dass den Amerikanern trotz ihrer ungeheuren Übermacht an Truppen und Material die strategische Fähigkeit fehlte, um den Widerstand der wenigen dort verschanzten Deutschen zu brechen. Die Römer beklagten sich ständig darüber, dass die Amerikaner nicht ankamen. Ich dachte bei mir, dies sei so, weil sie keine guten Soldaten waren, weil ihre ganze Tüchtigkeit nur darin bestand, Bomben von oben abzuwerfen. Natürlich war mir nicht klar, dass Italien für die Alliierten nur ein sekundärer Kriegsschauplatz war und sie das Ziel verfolgten, einen Teil der deutschen Streitkräfte in Italien festzuhalten, damit sie nicht an der französischen oder der russischen Front eingesetzt werden konnten, die sehr viel wichtiger für den Ausgang des Kriegs waren. Die Anglo-Amerikaner lagen monatelang, bis zum Mai 1944, vor Montecassino fest und hatten in dieser Zeit die
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