Eine Japanerin in Florenz
warum hat sich Monica denn nicht verteidigt? Sie ist viel größer und stärker. Es heißt, Nardi hätte … ich meine …«
»Nun ja, sie hat ein paar ordentliche Kratzer abbekommen. Lange Fingernägel.«
»Lange, rote Fingernägel. Ja. O Himmel! Glauben Sie, Sie kommen mit den beiden klar? Ich muß mich dringend um den Boboli-Fall kümmern. Sie müssen nur herausfinden, warum die beiden plötzlich wieder auf einander losgehen, schließlich sind sie jahrelang mit einander ausgekommen.«
»Ich werde mein Bestes geben. Aber ehrlich gesagt, das ist mir zu hoch. Ich meine, so etwas gibt es doch gar nicht, oder?«
»Ja, aber …«
Nardi, ein pensionierter Bahnbeamter, der immer noch seine Sinatra-Nummer bei den Jahrestreffen der Bahnarbeiter zum besten gab, war über siebzig Jahre alt. Constanza, seine schlanke und resolute Frau, und Monica, seine großbusige, füllige, kleine Schwäche, waren beide Ende Sechzig. Offenbar eine Generation, der Leidenschaft noch etwas bedeutete.
»Tun Sie Ihr Bestes, diese Frau von einer Anzeige abzubringen. Es wäre reine Zeitverschwendung.
Sie wird ihre Meinung wieder ändern, noch bevor der Gerichtstermin feststeht.«
»Das glaube ich auch.«
»Sie wirken aber nicht sehr überzeugt. Das ist doch nicht das erste Mal, obwohl – der letzte Vorfall liegt inzwischen ein paar Jahre zurück.«
»Ich weiß. Sie versucht, in diese Fernsehshow zu kommen. Sie wissen schon, die mit dem Richter, der über Familien- und Mietstreitigkeiten und so ein Urteil fällt.«
»Gut. Sollen sie ihre Angelegenheiten dort regeln und uns eine Pause gönnen.« Der Maresciallo tastete in einer der Schubladen nach dem Feuerzeug, der Stange Wachs und dem Siegel. »Ich sehe zu, daß ich das Zeug hier so weit fertig mache, daß es morgen gleich als erstes rauskann. – Wie geht es Esposito?«
»Unverändert. Die Männer sagen, daß er kaum redet und sich oben in seinem Zimmer verbarrikadiert, wenn er frei hat.«
»Tatsächlich? Nun, das wird sich bald ändern. Mit ein wenig Glück beginnt in allernächster Zeit der Umbau für die neuen Waschräume. Dann wird er mit einer Menge Staub und Dreck zu kämpfen haben, ob er sich in sein Zimmer einschließt oder nicht.«
»Uns wird es nicht anders gehen, denn die Arbeiter müssen mit den Schubkarren durch den Warteraum. Das wird ein Alptraum! Um aber auf Esposito zurückzukommen. Seine Kollegen glauben nicht, daß er Heimweh hat. Sie sagen, er ist erst so, seit er an dem Selbstmordfall mitgearbeitet hat. Das Problem ist, daß er als Anwärter auf die Offizierslaufbahn mit den anderen nicht vertraulich werden kann. Ach ja, Di Nuccio, der ja auch Neapolitaner ist, meint, er sei wahrscheinlich verliebt.«
»O nein. Was ist nur auf einmal los? Selbst der Capitano und diese Französin …«
»Es ist Frühling. Lassen Sie nur, ich packe das für Sie zusammen, Sie können dann die Familie der Frau aufsuchen. Es ist schon Abendbrotzeit.«
Der Maresciallo erledigte rasch noch ein paar Telefonate. Als letztes meldete er sich bei seiner Frau.
»… Ich weiß nicht, wahrscheinlich nicht allzu spät. Fangt schon mal ohne mich an … Ihr habt schon? … Nein, nein. Lorenzini hat zwar gesagt, daß es spät sei, aber daß es schon so spät ist …«
Er schloß das Büro ab.
Ein kleines Mädchen öffnete die Tür im ersten Stock in der Via Romana, sechs oder sieben Jahre alt, sehr schmächtig und mit langem, braun glänzendem Haar.
»Komm zurück«, ertönte eine Frauenstimme irgendwo weiter hinten im Flur.
»Nicoletta! Laß deinen Vater die Tür aufmachen.«
Das Kind lächelte den Maresciallo vielsagend an und schoß dann auf einem kleinen Roller zurück in den rotgefliesten Flur. Der Maresciallo wartete. Er hatte seinen Besuch angekündigt, ohne den Grund zu nennen, denn er konnte nicht wissen, ob er trösten oder ermitteln mußte. Ein Mann tauchte mit einer Gabel Spaghetti aus einem Zimmer auf der linken Seite auf.
»Kommen Sie herein. Worum geht es denn? Bitte entschuldigen Sie, wir essen gerade zu Abend – Nicoletta!« Er paßte das rollernde Kind auf dem Rückweg ab, lief ein Stückchen neben ihm her und versuchte dabei, ihm die Gabel in den Mund zu schieben. »Nur noch eine. Komm schon, noch eine.« Das Kind wandte das Gesicht von der Gabel ab und flitzte davon, kam zurück und blieb wie angewurzelt stehen. Triumphierend blickte sie den Maresciallo an und ließ die Gabel in den Mund, um sogleich wieder davonzurollern.
»Roberto! Wer ist denn da?«
»Ein
Weitere Kostenlose Bücher