Eine Jungfrau Zu Viel
bestimmt nicht richtig gehört, was Constantia beim Ausrutschen gemurmelt hatte.
»Du kannst ja glauben, was du willst, Marcus. Du bist so unbedarft, dass du bestimmt gedacht hast, Numa Pompilius sei nur ein Mann gewesen, der gern mit einer Sekretärin arbeitete. Egeria erwies sich als tüchtig, und natürlich hat er die Nymphe nie angerührt … Aber ich könnte schwören, dass die Ehrwürdige Jungfrau beim Umknicken zusammengezuckt ist und geflucht hat.«
Die kleine Cloelia sah verächtlich zu uns auf. »Natürlich hat sie das, Helena. Sie hat ›Scheiße‹ gesagt!«
XXIX
Wir folgten Constantia den ganzen Weg zurück zum Haus der Vestalinnen, in sicherem Abstand, falls der Liktor zu sehr mit seinem Rutenbündel fuchtelte. Helena, die überaus beharrlich sein konnte, quatschte den Pförtner sofort wieder an und fragte, ob man schon auf ihre Bitte nach einem Gespräch reagiert habe. Viel zu früh für eine Antwort. Damen, die ein traditionell einfaches Leben führen, halten auch die traditionellen Regeln der Korrespondenz ein, erst auf Nachrichten zu reagieren, wenn das Festmahl kalt geworden ist.
Constantia selbst hatte eine Ausrede – sie musste Wasser vom heiligen Schrein holen. Doch wer glaubt, die Jungfrauen fühlen sich der Einfachheit so verpflichtet, dass sie Briefe aus der Bevölkerung selbst lesen, irrt sich. Sie haben viele Dienstboten, darunter mit Sicherheit auch Sekretärinnen.
Nein, natürlich glaube ich nicht, dass die Sekretärinnen eingestellt werden, um die Liebesbriefe der Vestalinnen zu schreiben. So was zu denken wäre Blasphemie.
Wir machten uns das zweite Mal auf den Heimweg. Diesmal gingen wir über die Via Sacra und kamen auf der schmalen Straße der Vestalinnen gegenüber der Regia heraus – einst der große etruskische Palast des Numa Pompilius, dem bereits erwähnten Nymphenliebhaber. Ich befreite mich aus den Hüllen meiner Toga und hängte mir das verhasste, viel zu warme Ding lässig über die Schulter.
Die Regia war schon vor langer Zeit als Wohnhaus aufgegeben worden, und da waren nur wenige Spuren der alten Gebäude, die hier einst gestanden hatten. Das ganze Gelände war heilig und jahrhundertelang vom Kollegium der Pontifizes benutzt worden. Die Jungs wussten, wie man sich gute Grundstücke aneignet. Irgendein Konsul hatte mit seiner Kriegsbeute alles im Umkreis wieder aufgebaut, eine Beute, die so gewaltig war, dass er für die Böden und Wände der neuen Bauten weißen und grauen Marmor verwendete. Daher hatten diese soliden Gebäude das große Feuer überstanden, bei dem all die hochherrschaftlichen Villen entlang der Via Sacra in Flammen aufgegangen waren. Vor uns lagen jetzt der Tempel des Mars, wo die Generäle die heiligen Speere schüttelten, bevor sie in die Schlacht zogen, ein integrales Vestibül und der Tempel der Ops, dieser altmodischen Göttin des Überflusses, den nur die Vestalinnen und der Pontifex Maximus betreten durften. Zu unserer Rechten, am hinteren Ende des Komplexes, befand sich eine kleine Vorhalle, unter deren Säulen sich etwas tat.
Träger hoben eine Sänfte mit einem Adler auf dem Dach und purpurroten Vorhängen hoch und trabten rasch los. Vor ihnen trampelte eine Phalanx mit federgeschmückten Helmen – die Prätorianergarde. Als sie über die Straße ausschwärmte und nach Passanten suchte, die sie aus dem Weg schubsen konnte, wussten wir, dass wir dem Abmarsch des Kaisers zuschauten. Wahrscheinlich war er in seiner Eigenschaft als Pontifex hier gewesen und hatte wegen religiöser Angelegenheiten das Priesterkollegium aufgesucht.
Normalerweise hätte ich mir nichts dabei gedacht. Aber ein paar Neugierige und Hofschranzen waren nach Vespasians Abmarsch zurückgeblieben. Als sich die Gruppe nun auflöste, trennte sich ein Mann von den anderen und ging mit raschen Schritten davon. Er sah mich. Erleichterung malte sich auf seinem Gesicht ab, als er auf mich zukam.
»Falco! Was für ein Zufall. Ich wurde losgeschickt, um Sie zu finden. Ich dachte, ich würde den halben Tag dafür brauchen.«
Ich erkannte ihn, hatte ihn erst vor ein paar Wochen in Leptis Magna gesehen. Ein ruhiger, vernünftiger Sklave im Dienst von Rutilius Gallicus, dem Sonderbeauftragten des Kaisers. Momentan war das Letzte, was ich wollte, eine gesellschaftliche Einladung des Mannes, der den Befehl gegeben hatte, meinen Schwager den Löwen zum Fraß vorzuwerfen. Aber niemand lud einen in die Regia zum Essen ein. Hier musste es sich um etwas anderes
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