Eine Jungfrau Zu Viel
Weder Sandelholzkästen, eingetopfte Lilien noch warmes, nach Rosen duftendes Badeöl. Entweder befand sich die Küche in einem anderen Teil des Hauses, oder es gab heute ein kaltes Mittagessen.
Wir kamen jetzt in das Atrium. Es war altmodisch und ohne Dach, mit einem kleinen rechteckigen Becken, momentan ohne Wasser. Was daran lag – das erste Zeichen von Menschlichkeit –, dass die Laelii Handwerker im Haus hatten. Vielleicht verschwanden Gloccus und Cotta ja hierher, wann immer Helena sie brauchte. Wenn ja, waren sie auch hier heute auffällig abwesend, konnten aber wegen der problematischen Sache mit Gaia weggeschickt worden sein.
An den Wänden um das Atrium war für einen Neuanstrich die Farbe entfernt worden, und an einer Seite sollte offenbar ein kleiner Schrein errichtet werden, die Art von Nische, in der Familien mit gut gepflegten Stammbäumen nicht nur ihre Laren aufstellen, sondern auch die hässlichen Büsten ihrer angesehensten Vorfahren.
Ich wurde in einen Seitenraum geführt. Dort ließ der Pförtner mich einfach stehen. Der Geruch von Weihrauch stieg mir in die Nase, ungewöhnlich für ein Privathaus. Der Pförtner hatte meinen Namen vergessen, daher musste ich mich selbst vorstellen. Zum Glück kann ich das. Ich konnte sogar die Person mit Namen ansprechen, der ich mich vorstellte. Das musste der alte Laelius sein. Er mochte zwar pensioniert sein, konnte aber nicht loslassen. Selbst jetzt trug er noch seine Berufskluft: die dicke wollene Toga Praetexta mit Purpurrand und dazu, laut den rituellen Vorschriften, von den Händen seiner verstorbenen Frau selbst gewebt, seinen Apex, die konische Mütze mit den Ohrenklappen und dem mit weißem Wollfaden obendrauf befestigten Olivenzweig.
Ich musterte ihn rasch. Ende sechzig, hager, faltiger Hals, leicht zitternde Hände, vorstehendes Kinn, eine gewaltige Hakennase zum dran entlang Sehen und ein verächtlicher Mund, wie ihn seine arroganten Vorfahren bereits vor fünf Jahrhunderten gehabt haben mussten. Ich hatte den Mann schon irgendwo gesehen, vermutlich in seiner offiziellen Funktion bei vergangenen Festen. Es überraschte mich, dass ich mich an ihn erinnerte. Bis man mir die heiligen Gänse aufgehalst hatte, war ich bei solchen Anlässen für gewöhnlich im Bett geblieben.
»Marcus Didius Falco, Herr. Sie müssen Publius Laelius Numentinus sein.« Er starrte mich durchdringend an, als wäre er so lange Flamen Dialis gewesen, dass es eine Beleidigung war, ihn mit seinem Namen anzusprechen. Aber welche Nachsicht andere auch walten ließen, ich gedachte mich an die Form zu halten. Er war zurückgetreten. Der echte Flamen Dialis war jetzt ein anderer Mann. Numentinus konnte sich nicht beschweren. Ich hatte seine vollen drei Namen genannt. Meine natürlich auch. Auf dieser Ebene waren wir Gleichgestellte – ein demokratischer Witz.
Er thronte auf einem Elfenbeinstuhl mit Armlehnen wie ein Magistrat. In dieser Haltung hatte er schon vor meinem Eintreten dagesessen. Andere hätten vielleicht geschrieben oder gelesen, aber er zog die brütende Stille eines Steingottes vor.
Der Raum war mit Beistelltischen und Lampen möbliert, und zu seinen Füßen lag ein kleiner Teppich, auf dem eine Fußbank stand. Wenn diese frostige Atmosphäre nicht gewesen wäre, hätte es gemütlich sein können.
Helena Justina hatte mir bei unserem ersten Gespräch über Gaia alles erzählt, was sie von Flamen wusste. Jupiters Priester führte ein so von einschränkenden Pflichten beengtes Leben, dass er keine Zeit zum Abschweifen hatte. Genau das war zweifellos beabsichtigt. Als Verkörperung des Gottes war er im wahrsten Sinne unberührbar. Wenn er ausging, einen doppelt gefalteten Umhang über seiner Wolluniform, trug er ein Opfermesser in der einen Hand (wohl zur Abwehr unwillkommener Kontakte) und in der anderen einen langen Stab, mit dem er sich die Bevölkerung vom Leibe hielt. Ein Liktor ging ihm voraus, aber zusätzlich auch noch Rufer, bei deren Näherkommen jeder die Arbeit niederlegen musste, weil für den Flamen nicht nur jeder Tag ein Feiertag war (nettes Leben!), sondern er auch andere nicht arbeiten sehen durfte.
Es kam noch mehr. Er durfte kein Pferd besteigen, ja, es noch nicht mal berühren. Er durfte die Stadt nicht verlassen (außer in neuerer, aufgeklärter Zeit, aber dann auch nur maximal für zwei Tage, um unvermeidlichen Familienpflichten nachzukommen, wofür er die direkte Erlaubnis des Pontifex Maximus brauchte). Er durfte keine Knoten tragen
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