Eine Jungfrau Zu Viel
(seine Kleidung war mit Spangen befestigt), seine Ringe waren gespalten; er durfte Efeu wegen seiner bindenden Eigenschaft nicht benennen oder unter einer Pergola mit Kletterpflanzen hindurchgehen. Wenn jemand gefesselt in sein Haus gebracht wurde, mussten die Fesseln sofort gelöst und vom Dach hinuntergeschleudert werden; wenn er einem Verbrecher begegnete, konnte derjenige weder ausgepeitscht noch hingerichtet werden. Nur ein Freier durfte den Bart des Flamen rasieren, und zwar mit einem Bronzemesser; die Bartstoppeln und Nagelschnipsel wurden gesammelt und unter einem heiligen Baum vergraben. Der Flamen durfte bei Tageslicht weder seine Tunika noch seine Kappe ausziehen, damit Jupiter seine Person nicht sah.
Er musste Hunde meiden (was erklärte, warum es hier keine Wachhunde gab), weibliche Ziegen, Bohnen, rohes Fleisch und gequollenen Teig.
Vermutlich gab es noch mehr Bestimmungen, aber Helena hatte gesehen, wie meine Augen glasig wurden, und mir den Rest erspart. Die Einschränkungen wirkten ungeheuerlich. Sie waren offensichtlich dazu gedacht, dass der Flamen seinen Geist nie wandern ließ, obwohl der hier mir so vorkam, als hätte er seine Gedanken voll unter Kontrolle – und seine rigiden Ansichten auch.
Trotz alldem hatte dieser komische Kauz kraft seines Priesteramtes einen Sitz im Senat innegehabt. Aber er hatte wahrscheinlich gut zu den anderen Exzentrikern und Verrückten gepasst. Hier in seinem Haus war alles so eingerichtet, dass es seinen Wünschen entsprach. Das schloss mich nicht mit ein. Er sah mich an, als wäre ich aus der Gosse gekrochen.
»Mir wurde versichert, Herr, dass der Kaiser Sie auf mich vorbereitet hat. Ihre Enkelin wird vermisst, und ich verfüge über Erfahrungen, die bei der Suche nach ihr hilfreich sein könnten. Vor allem ist es wichtig, dass Sie mit mir zusammenarbeiten, weil Sie den Wunsch geäußert haben, keinen Kontakt mit den Vigiles zu haben. Das bedaure ich. Es hätte uns womöglich Zeit erspart – und Zeit ist in diesen Fällen von ausschlaggebender Bedeutung.«
»Sie wurden mir als Spezialist empfohlen. Soll das heißen, Sie sind der Aufgabe nicht gewachsen?« Seine Stimme war dünn, sein Ton scharf und verächtlich. Ich wusste, was ich hier vor mir hatte – einen boshaften alten Drecksack. In Familien wie meiner haben sie nichts zu sagen und können daher keinen Schaden anrichten. Aber das hier war nicht meine Familie.
»Ich werde mein Bestes tun. Sie werden merken, dass es weit über dem Durchschnitt liegt. Aber der Erfolg wird davon abhängen, wie viel Kooperationsbereitschaft mir entgegengebracht wird.«
»Und was bieten Sie an?«
»Einen schnellen, diskreten Dienst – zu meinen Bedingungen. Am wahrscheinlichsten ist, dass sich Gaia versehentlich irgendwo im Haus eingesperrt hat. Ich muss das Haus nach Verstecken durchsuchen, die einem Kind anziehend vorkommen könnten. Ich muss überall nachschauen, aber Sie können sich darauf verlassen, dass alles, was ich sehe, sofort vergessen wird, wenn es nicht relevant ist.«
»Ich verstehe.« Sein Hochmut ließ mich frösteln.
»Ich werde anklopfen und warten, bevor ich einen Raum betrete, falls jemand, der sich in dem Raum befindet, ihn verlassen möchte. Ich werde so schnell wie möglich arbeiten.«
»Das ist gut.«
»Ich benötige die Erlaubnis, mit Ihrer Familie zu sprechen.«
»Das ist akzeptabel.«
»Keiner braucht Fragen zu beantworten, die er für unschicklich hält.« Ich sah ihm direkt in die Augen. Er war intelligent, wusste, das die Verweigerung einer Antwort genauso informativ sein konnte. »Ich benötige auch die Erlaubnis, mit Ihrem Personal zu sprechen, habe jedoch vor, diese Befragungen zu begrenzen. Aber war Gaia Laelia nicht zum Beispiel einem Kindermädchen anvertraut?«
»Es gibt ein Mädchen, dass sich um sie kümmert. Mit ihr können Sie sprechen.«
»Vielen Dank.« Ich kam mir allmählich vor wie ein Weichei. Er verdiente die Zurückhaltung nicht, die ich an den Tag legte. Aber ich erkannte, dass er Aggressivität erwartete. Ihn zu verblüffen, machte mir Spaß.
»Und wie«, fragte der Exflamen mit angespannter Stimme, »lauten die Fragen, die Sie mir stellen wollen?«
XXXI
Ich zog meine Notiztafel heraus. Gelegentlich würde ich etwas notieren und damit zu erkennen geben, dass ich kompetent war. Meistenteils würde ich nur den Stilus still halten und zuhören, um ihm meinen untadeligen Takt zu zeigen.
»Die Ermittlung muss mit den Fakten des Verschwindens Ihrer
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