Eine Katze hinter den Kulissen
würden? Es wird ihn sicher freuen, zu hören,
daß seine Meisterdetektivin das restliche Geld vom Spesenkonto
zum Fenster rausgeworfen hat. Ich meine, der arme Kerl hat wirklich
nicht viel zu lachen.«
Ich setzte mich in einen Sessel und begann zu warten. Ich hatte mir ein Buch mitgebracht, eine alte Taschenbuchausgabe von Madame Bovary, ein
Buch, das ich alle drei, vier Jahre wieder lese. Das Lesezeichen war
auf Seite zweiundsechzig. Emma und Charles fuhren gerade in der Kutsche.
»Was ist los mit dir?« fragte Tony plötzlich.
»Nichts«, gab ich zurück.
»Du benimmst dich ganz schön komisch. Du
bist zu kühl. Du tust, als würdest du auf eine Lieferung
Katzenfutter warten und nicht auf einen Mörder.«
»Was soll ich denn deiner Meinung nach tun, Tony. Rumhüpfen? Zittern?«
»Tu irgendwas, aber sitz nicht einfach nur da und lies!«
Er hatte recht. Ich war unnatürlich
ruhig. Nein, nicht ruhig, traurig. Und wenn das, was ich erwartete,
wirklich eintrat, dann würde ich erst recht traurig sein.
»Außerdem, woher weißt du
eigentlich, daß diese Person die Anzeige entdecken wird? Die
Chance scheint mir eins zu einer Million zu sein«, bemerkte Tony.
»Glaub mir, der Mörder wird die Anzeige
lesen. Er wartet auf diese Anzeige, er wartet schon lange darauf.
Verstehst du das denn nicht?«
»Ich frage mich, wie oft ich dieses Satz schon
aus deinem süßen Mund gehört habe.« Tony grinste
und versuchte, sich zu beschäftigen, indem er mit Bushy spielte.
Die Stunden vergingen. Um zehn sagte Tony: »Glaubst du nicht
auch, daß wir ein Problem haben?«
»Geduld, Tony. Es dauert nicht mehr lange. Es wird gleich losgehen.«
»Ich habe den Verdacht, daß du gar nicht weißt, was du hier tust. Jeder macht mal Fehler, Alice.«
Ich brüllte ihn wütend an: »Was
erwartest du denn, daß der Geist von Peter Dobrynin einmal quer
durch den Raum tanzt? Oder soll ich vielleicht zitternd in der Ecke
kauern und auf den Mörder warten, in dem Bewußtsein,
daß unser beider Leben in Gefahr ist? Oder möchtest du,
daß die Polizei kommt, um mich zu schützen?«
»Beruhige dich, bitte. Ich wollte dich nur ein bißchen ärgern.«
Das Telefon klingelte. Ich hielt Tony bis zum dritten Läuten zurück. Ich schloß Madame Bovary und sagte: »Jetzt kannst du abnehmen, Tony. Und sag genau das, was wir besprochen haben.«
Tony nahm den Hörer ab und folgte meinen Anweisungen Wort für Wort. Als er auflegte, war er blaß.
»Verdammt«, sagte er heiser, »du
hattest recht. Sie ist jetzt auf dem Weg hierher. Mit dem Geld. Ich
hätte das nie für möglich gehalten. Fünf Riesen -
und wofür? Für eine Katze, die es gar nicht gibt? Was ist das
für eine Katze?«
»Hast du die Stimme erkannt, Tony?«
»Nein. Sie sprach mit Akzent. Ich hätte in
einer Million Jahre nicht damit gerechnet, daß jemand anrufen
würde. Niemals.«
»Du solltest eben deiner Tante Alice vertrauen«, sagte ich ohne jeden boshaften Unterton.
»Und was jetzt?« fragte er. Jetzt
erschien er zum erstenmal etwas ängstlich. Und bei dieser
Beobachtung wurde mir bewußt, daß auch ich jetzt zum
erstenmal etwas ängstlich war.
Ich nahm den unglücklichen Bushy hoch und steckte ihn wieder in seinen Reisekorb. Dann stellte ich den Korb auf das Bett.
»Okay, Tony. Jetzt kommt Stufe zwei des Plans.
Wenn deine Besucherin hereinkommt, dann zeig ihr den Korb. Sag,
daß Anna Pawlowa Smith da drin ist. Mach auf keinen Fall den Korb
auf, bevor du das Geld hast. Wenn es Bargeld ist, zähl es nach.
Wenn es ein Scheck ist, dann prüfe, ob alles so ist, wie ich dir
gesagt habe. Ich werde im Badezimmer warten. Hast du alles
verstanden?«
»Ja. Und was mache ich dann?«
»Darüber mach dir keine Sorgen. Ich habe mir alles genau überlegt.«
Ich ging ins Badezimmer und knipste das Licht aus.
Die Tür ließ ich einen kleinen Spalt breit offen. Es war
kühl hier drin.
Langsam gewöhnten sich meine Augen an die
Dunkelheit. Ich konnte den glänzenden weißen Duschvorhang
erkennen. Er war vor die Badewanne gezogen, als ob gerade jemand
duschen würde. Ich hatte das Bedürfnis nachzusehen, obwohl
ich natürlich wußte, daß da niemand war.
Ich empfand die Dunkelheit und das Warten als
bedrückend. Ich hatte das gleiche Gefühl wie vor einem
Auftritt auf der Bühne. Das ist der alte Alptraum eines jeden
Schauspielers: Er betritt die Bühne total unvorbereitet,
weiß nicht, welches Stück gespielt wird, welche Rolle er
darin hat, wer die anderen Darsteller sind, er kann sich
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