Eine Katze hinter den Kulissen
da! « Ich nahm einen Stock und schlug gegen den Zaun, immer fester und fester.
»Wo denn, Alice? Wo? Ich sehe gar nichts.«
»Es ist Splat, Tony! Es ist Anna Pawlowa Smith! Er lebt!«
Ich ließ erschöpft den Stock fallen und
wartete. Stille. Ich starrte ins Dunkel. Was war geschehen? Der Kater
war verschwunden. Er war weg. Aber ich wußte, daß ich ihn gesehen hatte ... oder einen Kater, der ihm ähnlich sah.
»Bitte!« sagte Tony flehentlich und legte
mir liebevoll seinen Arm um die Schulter. »Bitte, laß uns
jetzt gehen. Sie werden das Futter schon finden.«
Wir verließen langsam den Park. Eine
schreckliche Traurigkeit ergriff von mir Besitz. Meine Beine waren wir
Pudding, und ich konnte kaum laufen.
Tony führte mich in eine Bar auf dem Broadway. Er bestellte zwei Flaschen Bier.
»Geht es dir jetzt besser?« fragte er.
Ich nickte und goß etwas Bier aus der Flasche in ein Glas. Es war warm und ruhig in der Bar. Ich trank nicht.
»Was hast du da wirklich gesehen?« fragte er.
»Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.«
»Das kann nicht Lucias Kater gewesen sein. Er
kann unmöglich drei Jahre in der Großstadt überlebt
haben. Wenn er Glück hatte, hat jemand ihn aufgenommen.«
Ich antwortete nicht. Ich nahm einen Schluck Bier. Es war lecker und süß.
»Abgesehen davon, Alice, du weißt doch, was deine Großmutter immer gesagt hat.«
Ich mußte lachen, obwohl ich es eigentlich gar
nicht wollte. »Aber Tony, du hast doch mal gesagt, daß du
dich, wenn du noch einmal auch nur eine Zeile aus Großmutter Nestletons weise Sprüche hören mußt, vom Chrysler-Gebäude stürzen willst.«
Tony krümmte sich vor Lachen. »Na ja,
Alice, jetzt, wo du schon Erscheinungen in Parks hast, dachte ich,
daß eine ihrer Weisheiten dir vielleicht helfen würde ...,
wieder in die Realität zurückzufinden. Denn das sind alte
Damen auf kalten Milchfarmen in Minnesota nun wirklich: realistisch.
Harte, kalte, ungeschminkte, holzhackende Realität.«
»Okay, Tony, nur zu. Welche Weisheit?«
»Ach, komm schon, Alice, du weißt doch,
welche ich meine. Deine Großmutter hat immer gesagt: ›Man
darf für eine Katze sterben, aber nicht morden.‹«
»Das hat sie niemals gesagt, Tony.«
»Na, dann hat vielleicht eine ihrer Freundinnen das gesagt. Oder der Futtermittelvertreter.«
»Aber vielleicht habe ich Anna Pawlowa Smith doch gesehen«, erwiderte ich bitter.
Wir sprachen nicht weiter. Ich trank noch etwas Bier. Es war ein wenig zu kalt für meinen Geschmack.
»Hast du Kleingeld, Tony?« fragte ich.
»Wofür?«
»Ich glaube, es ist an der Zeit, daß ich
ein Telefongespräch führe.« Er beugte sich zu mir
herüber und küßte mich. Dann griff er in seine Tasche
und holte einen Vierteldollar heraus.
Ich schaute mich um und entdeckte einen Münzfernsprecher an der Wand neben dem Eingang zu den Toiletten.
Mir fiel ein Satz ein, den sie in Gangsterfilmen immer benutzen: »Wirf eine Münze.«
Und genau das würde ich tun: Ich würde die
Polizei anrufen, eine Münze für meine Freundin Lucia Maury
einwerfen. Sie war eine Mörderin. Es mußte Anklage gegen sie
erhoben werden. Man mußte sie zur Verantwortung ziehen. Ob sie in
dem Augenblick, als sie den Abzug drückte, bei Sinnen gewesen war,
würde das Gericht entscheiden müssen.
Katzen? Tänzer? Leidenschaften? Um all das ging
es nicht, das war mir jetzt klar. Ein Mensch war ermordet worden. Und
als ich vor dem Telefon stand, warf ich, ohne zu zögern, die
Münze ein. Aber im Gegensatz zu den Informanten in den
Gangsterfilmen empfand ich keinerlei Befriedigung.
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