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Eine Katze im Wolfspelz

Eine Katze im Wolfspelz

Titel: Eine Katze im Wolfspelz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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Decke angebracht. Er hatte wohl auf der obersten Treppenstufe gestanden und sich dann nach vorne fallen lassen. Die Leiche schaukelte sanft im Luftzug.
    Ich rannte wieder hinauf in die Küche. Ich ballte die Hände zu Fäusten und lehnte mich gegen die Wand. Jetzt kam auch Tony nach oben. Wir sahen einander an. Lange sagte keiner von uns ein Wort.
    Schließlich fragte Tony: »Sollen wir die Polizei anrufen?«
    »Warum sollten wir irgend jemand anrufen? Was bringt das?« Dann dachte ich nochmal darüber nach. »Na gut, wir können ja anrufen, bevor wir gehen.«
    Tony sank entkräftet auf einen der Küchenstühle. »Alice«, sagte er sanft, »ich fürchte, damit sind deine ganzen schönen Theorien beim Teufel. Er ist schon eine ganze Weile tot. Deshalb stinkt es hier so erbärmlich. Er muß sich umgebracht haben, gleich nachdem er mit uns in der Wohnung seiner Schwester gewesen ist. Er ist nach Hause gekommen und hat sich aufgehängt. Und das heißt, daß er auf keinen Fall auf mich geschossen haben kann.«
    »Laß uns hier abhauen, Tony«, sagte ich. Er nickte zustimmend. Aber keiner von uns bewegte sich. Meine Knie waren noch immer weich wie Pudding. Ich schloß die Augen. Philoktet war tot. Er hatte die Schmerzen seiner Wunde nicht länger ertragen können.
    Zwei Stunden später saßen Tony und ich stumm in meiner Wohnung. Es war mittlerweile zwischen zwei und drei Uhr morgens. Wir saßen im Dunkeln. Durch die Fenster fiel schwaches Licht von der Straße.
    Ich hatte Bushy auf dem Arm. Ihm war das nicht ganz recht, aber er hatte Verständnis dafür, daß ich jetzt Trost brauchte. Pancho spürte das auch. Er hatte mit seinem ständigen Gerenne aufgehört, hockte jetzt auf dem Eßtisch und putzte seine rechte Pfote. Tony saß neben mir auf dem Sofa, die Hände hinter dem Nacken verschränkt, die Augen geschlossen und seine langen Beine ausgestreckt.
    »Tony«, sagte ich, »ich werde diese Rolle nicht annehmen.«
    »Warum denn nicht?«
    »Weil ich andere Dinge im Kopf habe.«
    »Du machst dir was vor. Du hast nichts anderes im Kopf, als dich selbst immer tiefer und tiefer in einen Fall zu verstricken, der nur die New Yorker Polizei etwas angeht, die dich im übrigen nicht dabei haben will. Und das tut dir nicht gut. Nimm die Rolle an, Alice.«
    »Das wäre unschicklich«, gab ich zurück und benutzte dabei bewußt dieses altmodische Wort.
    »Was wäre unschicklich?«
    »Ein Theaterstück zu machen, wenn drumherum lauter Leichen liegen.«
    »Du mußt dich endlich wieder in den Griff kriegen, Alice, du redest allmählich wie eine Art Racheengel. Du redest, als ob du persönlich für die siebzehn Leichen verantwortlich wärest. Und du wirst dich endlich damit abfinden müssen, daß du früher oder später mit einem Fall konfrontiert werden würdest, den du nicht lösen kannst. Und diese siebzehn Mordfälle sind dieser Fall.«
    Ich vergrub mein Gesicht in Bushys extravagant gemustertem Fell. Dann setzte ich ihn wieder auf den Teppich, wo er viel lieber sein wollte und ging schnell zum Telefon. Ich wählte Tricia Lambs Nummer.
    »Alice, es ist drei Uhr früh. Wen zum Teufel willst du aus dem Bett werfen?«
    Aber ich warf niemanden aus dem Bett. Ihr Anrufbeantworter war dran. Ich hinterließ ihr eine kurze Nachricht. Kein Philoktet für mich im Moment. Dann legte ich auf.
    Als ich mich umdrehte, um zum Sofa zurückzugehen, war ich plötzlich von der Schönheit meiner Wohnung in dem diffusen Halbdunkel überwältigt - und auch von der Schönheit der anderen Wesen: Bushy, Pancho und Tony. Ich blieb stehen. Tony hatte recht. Was Karl Bonaventura betraf, hatte meine Phantasie mir wohl einen Streich gespielt. Ich hatte mich wie eine Idiotin benommen - ich war total von meiner eigenen Großartigkeit überzeugt gewesen. Ich hatte fest daran geglaubt, daß die ersten wilden Assoziationen, die mir durch den Kopf schössen, der reinen Wahrheit entsprächen. Und daß meine Interpretation der Fakten so scharfsinnig, so intuitiv wäre, daß ich mich einfach nicht irren konnte.
    »Alice, warum stehst du da rum?« hörte ich Tony fragen.
    »Ich denke nur nach, Tony.«
    War ich so besessen von dem Fall, daß ich keine vernünftigen Schlüsse mehr ziehen konnte? Hatte ich mich wirklich der Illusion hingegeben, all diese armen Leute rächen zu können? Rache nehmen zu können für ihre traurigen Tode? Oder war lediglich mein Stolz verletzt? Schließlich hatte ich in wenigen Tagen mehr harte Fakten zusammengetragen als all diese Leute und

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