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Eine Katze im Wolfspelz

Eine Katze im Wolfspelz

Titel: Eine Katze im Wolfspelz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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gekommen, Alice?«
    »Ich weiß nicht. Ich glaube, meine Großmutter hatte eine Freundin, die Lutzi hieß, aber ich weiß nicht, wie man das schreibt.«
    »Das ist doch egal. Es ist schließlich nur ein Elefantenname.«
    »Der Plot gefällt mir, Tony.«
    »Welcher Plot?«
    »Der, den dein einbeiniger Autor schreiben wird.«
    »Mir gefällt er auch.«
    »Wahrscheinlich wird es eine Liebesgeschichte im Arbeitermilieu werden.«
    »Genau.«
    »Das paßt zu dir.«
    »Eben. Ein armer Kerl, der wegen unerwiderter Liebe den Verstand verliert und eine Kopierladenkette hat, die er irgendwie nicht los wird.«
    Ich ging zu ihm hinüber. Wir faßten uns bei den Händen und gingen wieder zum Sofa. Wir setzten uns gleichzeitig, wie ein altes Ehepaar.
    Bushy hob ärgerlich seinen Schwanz und begab sich in die geographische Mitte des Teppichs.
    Tony hielt meine Hand fest. »Alice, kannst du dich an unser erstes gemeinsames Semester beim Dramatic Workshop erinnern, damals, als wir uns kennengelernt haben?«
    »Tony, das muß irgendwann um 1971 gewesen sein.«
    »Wahrscheinlich; das ist mindestens zwanzig Jahre her. Und kannst du dich an das Stück erinnern, das wir dort einstudiert haben? Es war eine Art dramatisierte Kurzfassung von Arthur Koestlers Roman Sonnenfinsternis.«
    »Nein. Daran kann ich mich nicht erinnern.«
    »Es geht um einen überzeugten Kommunisten, der während der Säuberungsaktionen in der Sowjetunion gefangengenommen wird. Sie unterziehen ihn einer Gehirnwäsche, bis er schließlich zugibt, ein Verräter gewesen zu sein.«
    »Ich kann mich an die Geschichte erinnern, Tony, aber nicht an die Inszenierung.«
    »Doch, du erinnerst dich bestimmt. Es war während des Sommersemesters, und die Klimaanlage war ausgefallen.«
    Plötzlich klingelte es in meinem Kopf, und ich konnte mich wieder erinnern. »Und dann kamen sie mit diesem riesigen, prähistorischen Ventilator, der aussah wie ein Flugzeugpropeller, und als er angeschaltet wurde, flogen sämtliche Papiere aus dem Fenster«. Wir lachten uns beide halbtot, als wir an die absurden Zettel dachten, die raus auf den Broadway segelten.
    »Kannst du dich an das Bühnenbild erinnern, das ich für diese Vorstellung entworfen habe?«
    »Vage. Es war wie eine Decke, nicht wahr?«
    »Eine riesige Pferdedecke. Ich habe sie über die Bühne gespannt. Es war alles sehr bedeutungsvoll. Und ich habe riesengroß Hammer und Sichel in einem leuchtenden Rot auf die Decke gemalt, dann aber die Hälfte der Zeichnung verdeckt. Das war das ganze Bühnenbild.«
    »Jetzt erinnere ich mich.«
    »Damals war es ganz offensichtlich, daß ich ein Genie war.«
    »Selbstverständlich.«
    »Ich meine, das Bühnenbild war überwältigender als die Bühne, die Schauspieler, das ganze Gebäude.«
    »Es war einfach kosmisch, Tony.«
    »Sicher«, fuhr er fort, und in seinen Augen leuchtete Spieltrieb, Stolz und Selbstironie, »zweiunddreißig Leute waren völlig von den Socken, als der Vorhang hochging.«
    »Es gab keinen Vorhang«, erinnerte ich ihn, »und es waren weniger als neun Zuschauer.«
    »Na ja, es ist wahrscheinlich wirklich so, daß ich immer scharf auf das Mysteriöse gewesen bin. Und wir wissen ja schließlich beide, Alice, daß das Unerklärliche, wenn es gut gemacht ist, sämtlichen gesunden Menschenverstand ausschalten kann.«
    »Meinst du damit mich, Tony?« fragte ich lachend.
    Er beugte sich vor und drückte seine Lippen auf meinen Nacken. Sein Mund fühlte sich warm an. Aber diese Geste war nicht erotisch. Sie war Ausdruck eines Bedürfnisses. Und plötzlich begriff ich, daß Tony mich genauso dringend brauchte wie ich ihn. Ich brauchte seine Hilfe. Er brauchte meine Mysteriösität. Manchmal brauchte ich seinen Körper. Er brauchte manchmal meine Liebe. Ich war seine Mutter. Er war mein Vater. Wir waren beide unsere eigenen Kinder. Es war alles so undurchschaubar, das nichts etwas bedeutete. Sein Mund glitt zwischen meine Brüste. Ich öffnete meine Bluse. Meine Finger strichen durch sein Haar und zogen ihn näher an mich heran. Brooklyn mußte noch etwas warten.

16
    Die Fahrt nach und durch Brooklyn bis nach Sheepshead Bay war lang und die Straßen holperig. In einer verlassenen Straße ohne Beleuchtung stiegen wir aus dem Taxi. Zu beiden Seiten der Straße standen kleine Einfamilienhäuser sehr dicht beieinander. Die Häuser sahen aus, als ob sie sich auf den Boden kauern würden. Sie waren alle früher mal einfache Holzkonstruktionen gewesen, aber irgendwann hatten die meisten

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